Christina Sattler (B.sc.)

Privatpraxis für evidenzbasierte Physiotherapie in St. Wendel

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Jahresabschluss Inventur

mit der Bedürfnispyramide nach Maslow

Vielleicht ist gerade das Jahresende eine gute Zeit, um Inventur zu machen. Inventur mit den eigenen Bedürfnissen und wie weit wir diesen gerecht werden, um körperlich und seelisch gesund zu sein, bleiben oder werden.

Hierfür ziehe ich in diesem Blogbeitrag einmal die Bedürfnispyramide des Psychologen Abraham Maslow ran.

Maslow hat die Bedürfnisse von Menschen hierarchisch in eine Pyramide aufgeteilt. Anhand dieser Pyramide können Sie für sich selbst feststellen, auf welcher Stufe Sie stehen.

Seine eigenen Bedürfnisse zu kennen und daraus abzuleiten, welche Motivationen unsere Handlungen und Verhaltensweisen haben, kann ein Faktor sein, dem Genesungsprozess oder dem großen Ziel „Gesundheit“ näher zu kommen.

In der heutigen Zeit hat für viele berufliche Sicherheit in der Bedürfnisskala Priorität, aber auch das Bedürfnis nach familiärem Zusammenhalt, oder nach einem guten sozialen Netzwerk und Liebe stehen im Zentrum.

Welche Themen stehen auf Ihrer Bedürfnisliste oben und welches Bedürfnis motiviert Sie zu welcher Handlung?

Ebenso können Sie herausfinden, welche Bedürfnisse bei Ihren Mitmenschen gerade auf der Agenda stehen. Wenn Sie das für sich reflektieren können, dann können Sie eventuell auch verstehen, warum Ihr Gegenüber sich verhält, wie es sich verhält, welches Bedürfnis des Gegenübers zu welcher Handlung führt.

Maslow sagt, dass man die nächste Bedürfnisstufe erst erreichen kann, wenn man die Bedürfnisse, der vorherigen Stufe gestillt hat. Bedürfnisse, die erfüllt sind, funktionieren nicht mehr motivierend.

Ein einfaches Beispiel:

Auf der ersten Stufe der Bedürfnisskala stehen Basisbedürfnisse, wie Ernährung, oder Schlaf. Es geht ums Überleben, um Dinge, damit unser Körper optimal funktionieren kann.

Ohne, dass Sie diese Bedürfnisse befriedigen, können Sie die zweite Stufe der Bedürfnispyramide nur schwer erklimmen. Sie können beispielsweise die Bedürfnisstufe „Sicherheit“ nicht erreichen, wenn Sie nicht ausreichend Nahrung zur Verfügung haben, um zu überleben. Ein Körper, der hungert, kann sich nicht sicher fühlen. Ein Mensch, der zu wenig Schlaf bekommt, ruht nicht, fühlt sich gehetzt oder gestresst. Haben Sie schon mal probiert, hungrig und unausgeschlafen einen überaus guten Job zu machen? Wir alle kennen diesen einen Freund, der unausstehlich ist, wenn er Hunger hat oder diese eine Freundin, die angriffslustig ist, wenn sie nicht ausgeschlafen ist. Das ist ganz verständlich, wenn man sich die Bedürfnispyramide anschaut und verinnerlicht hat. Fragen Sie sich also, wie es um Ihre Ernährung und Ihren Schlaf bestellt ist? Bekommt Ihr Körper regelmäßig auf dieser Stufe alles, was er benötigt, um zu funktionieren?

Haben Sie Hunger oder ihr Schlafdefizit gestillt, dann werden Sie sich nicht mehr überaus für Nahrungssuche oder Schlaf motivieren müssen und können sich um die nächst höhere Bedürfnisstufe kümmern. Wie schön ist es, ausgeschlafen und satt durchzustarten?!

Werden Sie sich darüber bewusst, dass es, je weiter Sie auf Ihrer Bedürfnispyramide nach oben klettern möchten, umso wichtiger ist, dass Sie sich zunächst um die darunterliegenden Stufen kümmern.

In der heutigen Zeit leben wir in unseren Breiten sehr im Luxus und mit Luxus meine ich, die Möglichkeiten, sich entfalten zu können, individuelle Wege gehen zu können, etc. Wir müssen nicht jagen gehen, um Nahrung zu finden und wir müssen auch nicht mehr in kalten, nassen Höhlen schlafen. Trotzdem ist es häufig ein Problem, dass wir uns nicht ausreichend um eine gesunde Ernährung und ausreichend Schlaf kümmern.

Wir fragen uns allzu oft, warum wir dies oder jenes nicht hinbekommen? Wieso bekomme ich diese eine Sache nicht hin? Vielleicht liegt es daran, dass Sie nicht ausgeschlafen sind. Und mit „ausgeschlafen“ ist nicht eine Nacht mal gut geschlafen gemeint. Kümmern Sie sich regelmäßig und ausreichend um diese Bedürfnisse gewissenhaft.

Es ist uns ein großes Bedürfnis, anerkannt zu sein, gemocht zu werden oder als Mensch wertgeschätzt zu werden. Wir wünschen uns soziale Anerkennung, eine liebende Partnerin oder einen Partner, Freunde, die uns mögen. Können wir auch dieses Bedürfnis stillen, so ist die nächste Stufe in der Bedürfnispyramide nach Maslow, die der individuellen Bedürfnisse.

Wertschätzung für das, was man macht, oder die Anerkennung dafür, etwas erreicht zu haben. Ein Bedürfnis nach Geltung. Das gilt es aber auch, für sich selbst so sehen zu können.

Haben Sie sich schon mal gefragt, ob das, was Sie von anderen verlangen, was diese Ihnen an Wertschätzung geben sollen, Sie sich selbst auch entgegenbringen können?

Die Spitze der Bedürfnispyramide bildet das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Für viele Menschen ist es wichtig, sich selbst zu verwirklichen, während andere damit beschäftigt sind, bei Familie oder Kollegen Anerkennung zu erhalten.

Die Spitze der Bedürfnispyramide zu erreichen, kann laut Maslow nie vollkommen erreicht werden, wenn die Grundbedürfnisse der ersten Stufen nicht erfüllt werden.

Ganz deutlich ausgedrückt:

Ein Mensch, dessen Bedürfnis nach Nahrung, Schlaf oder sozialem Zusammenhalt nicht gestillt ist, der wird es schwer haben, sein Bedürfnis nach Selbstverwirklichung zu befriedigen.

Was hat das alles jetzt mit Schmerzen, chronischen Beschwerden oder anderen Problemen zu tun?

Diese Frage werden Sie sich jetzt wahrscheinlich selbst beantworten können.

Sind die Basisbedürfnisse nicht erfüllt, werden Sie es schwer haben, Bedürfnisse zu stillen, wie zum Beispiel Sozialkontakte oder Individualbedürfnisse, die Ihnen und Ihrer physischen und mentalen Gesundheit zuträglich sein könnten. Sie werden sehr zu schaffen haben, regelmäßig einer ausgleichenden Sportart oder einem Hobby nachzugehen, wenn Sie dauerhaft müde sind, oder Ihr Körper nicht ausreichend mit wichtigen Nährstoffen versorgt ist und so weiter.

Vielleicht haben Sie zwischen den Jahren ein wenig Zeit, um eine kleine Inventur bei sich durchzuführen.

Ich lade Sie ein, diese Fragen einmal für sich zu beantworten:

  • Auf welcher Stufe stehe ich gerade?
  • Mit welchem Bedürfnis bin ich gerade beschäftigt?
  • Was sind meine Motive? Was meine Handlungen, die daraus resultieren?
  • Habe ich das Gefühl, an einem Punkt zu sein, an dem ich gerade nicht weiterkomme?
  • Gibt es ein Bedürfnis der darunterliegenden Stufe, dass ich vielleicht nicht vollkommen erfüllt habe?

Wie wirkt sich die Behandlung mit Virtual Reality Technologie und Motor Imagery auf Menschen mit Morbus Parkinson aus?

Morbus Parkinson ist eine progressive, neurodegenerative Erkrankung. Hierbei sind unter anderem Gleichgewicht und auch motorische Funktionen beeinträchtigt, was Aktivitäten des täglichen Lebens einschränkt.

In der Physiotherapie kann man sich verschiedener Behandlungstechniken bedienen. Die Forschung auf dem Gebiet der Neurowissenschaften ist sehr aktiv und so haben Wissenschaftler 1 nun einen Studienversuch durchgeführt, um die Effekte von Virtual Reality Technologie und Motor Imagery Techniken auf Gleichgewicht, motorische Kontrolle und Effekte auf das alltägliche Leben bei Parkinsonpatienten zu untersuchen.

Virtual Reality (VR), sowie Motor Imagery (MI) sind zwei Techniken, die mehr und mehr Einzug in die Physiotherapie halten und immer weiter entwickelt werden u.a. in der Rehabilitation von Morbus Parkinson. VR schult hierbei Bewegungen und kognitive Fähigkeiten, in dem Aktivitäten in Echtzeit durchgeführt und in ein virtuelles Umfeld simuliert werden. Dies geschieht z.B. mit Hilfe von sogenannten VR- Brillen. Motor Imagery beinhaltet das pure Vorstellen einer Bewegung, ohne die Bewegung tatsächlich durchzuführen. Es konnte nachgewiesen werden, dass MI die gleichen Hirnareale stimuliert, wie die tatsächliche Bewegung.

Bei dieser Studie wurden 44 an Parkinson erkrankte Teilnehmer*innen einem Test unterzogen. Ein Teil der Gruppe erhielt ausschließlich Physiotherapie, der andere Teil der Gruppe erhielt Physiotherapie und zusätzlich VR in Kombination mit MI.

Als Maß wurden vorab diverse neurologische Tests durchgeführt und Einteilungen in Skalen vorgenommen, die Aufschluss über Gleichgewicht und motorische Fähigkeiten gaben. Die Therapieeinheiten vetreilten sich über zwölf Wochen, mit Behandlungen jeweils drei Mal pro Woche.

Es konnte herausgefunden werden, dass die Gruppe, die eine Kombinationstherapie aus Physiotherapie, VR und MI erhielt, sehr deutliche Verbesserungen im Hinblick auf die motorischen Funktionen, das Gleichgewicht und ebenso auf Tätigkeiten des alltäglichen Lebens verzeichnen konnte.

Eine weitere Studie 2 untersuchte isoliert die Wirkung von VR auf die oben genannten Parameter im Gegensatz zu alleiniger Physiotherapie. Auch hier konnten anhand der Tests eindeutig positive Effekte auf motorische Kontrolle, Gleichgewicht und somit auch Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt und belegt werden.

VR funktioniert deshalb so gut, weil die Patient*innen sich auf eine spezifische Aktion konzentrieren müssen, daraufhin eine motorische Aktivität ausführen und direkt Feedback innerhalb der virtuellen Realität bekommen.

VR und MI wird schon eine Weile erfolgreich in der Physiotherapie eingesetzt, sodass man sich drauf freuen kann, wenn die Entwicklung weiter voran schreitet.

Wenn Sie weitere Fragen zu dieser Behandlungsmöglichkeit haben, kontaktieren Sie mich gerne. In meiner Praxis werde ich ab Januar die Möglichkeit der VR- Therapie anbieten. Motor Imagery bzw. Graded Motor Imagery wende ich schon einige Zeit erfolgreich in meinen Therapie an.

Text: Christina Sattler

1 M. Kashif et al., 2022

2 Chuang et al., 2022

Don´t blame it on the weatherman

Oder: Hat das Wetter einen Einfluss auf Kopfschmerzen und Migräne?

Jeder kennt Aussagen, wie: Ich merke, dass sich das Wetter ändert. Jeder kennt auch mindestens einen „wetterfühligen“ Menschen.

Doch hat das Wetter auch tatsächlich einen Einfluss auf Kopfschmerzen und im Speziellen auf Migräne?

64 Prozent der Menschen leiden mindestens einmal im Leben an Kopfschmerzen, dabei leiden in Westeuropa und Nordamerika rund 5 bis 9 Prozent der Männer und 12 bis 25 Prozent der Frauen unter einer Migräne. 1

Das Robert Koch Institut hat eine Befragung unter  5000 Männern und Frauen durchgeführt und kam zu dem Ergebnis, dass 57,5 Prozent der Frauen und 44,4 Prozent der Männer in Deutschland innerhalb eines Jahres mindestens einmal Kopfschmerzen haben. 14, 8 Prozent der Frauen und 6 Prozent der Männer erfüllen hierbei alle Kriterien für Migräne.2

Das ist eine große Anzahl gemessen an der Bevölkerung.

Migräne ist eine neurologische Erkrankung und während Kopfschmerzen Spannungskopfschmerzen sein können, so zeichnet sich das Bild einer Migräne mit folgenden Symptomen ab:

  • Einseitig pulsierender Schmerz
  • Wird verstärkt durch körperliche Aktivität
  • Begleiterscheinungen, wie Licht-& Geräuschempfindlichkeit
  • Übelkeit
  • Erbrechen
  • Aura: Sehfeldeinschränkungen, Sprachstörungen
  • Taubheit in Gliedmaßen

Zur Frage, ob nun das Wetter einen Einfluss auf Migräne haben kann, können diverse Studien herangezogen werden. Viele Migränepatient*innen geben an, dass das Wetter und auch Luftverhältnisse die Migräne triggern können.

Die Studienlage hierzu ist jedoch sehr kontrovers. Es kann nicht bestätigt oder widerlegt werden, ob das Wetter einen Einfluss auf das Auftreten von Migräne hat. Hierzu müsste eine große Anzahl von Betroffenen über einen langen Zeitraum befragt werden.

Unter Wetter versteht man verschiedene Elemente, wie z.B. Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Luftdruck. Dass das Wetter einen Einfluss auf die Gesundheit der Menschen haben kann, wurde in diversen Studien belegt. In Umfragen nach Migräneauslösern gab ein Großteil der Betroffenen an, dass das Wetter ein Auslöser sei.3

Das Problem bei den Studien ist, dass einige lediglich die Tagebucheinträge von Betroffenen auswerten und hierbei ist die Zahl der Teilnehmer gering. Oder aber Krankenhäuser, die akut betroffene Migränepatienten aufnehmen, werten große Datensätze aus, die sich dann aber nur über einen sehr kurzen Zeitraum erstrecken.

Da die Auswertungen der Forschung sehr unterschiedlich ausfallen, kann man davon ausgehen, dass Betroffene sehr unterschiedlich sensibel auf die verschiedenen Wetterelemente reagieren.4     

Forscher der Uni Rostock haben sich dieser Frage erneut angenommen, diverse Studien ausgewertet und sich zum Ziel gesetzt, herauszufinden, ob Wetterveränderungen einen Einfluss auf die Anfallsfrequenz von Migränepatienten haben. 5

Für diese Studie wurde eine neue Methode der Datenerfassung erstellt, die es erlaubt, größere Daten von mehr Teilnehmern, als in bisherigen Studien zu erfassen. Mit dem Projekt „Migräne Radar“ wurden die Daten von 6217 Teilnehmern erfasst. Die Proband*innen waren über ganz Deutschland verteilt. Untersucht wurden die Wetterelemente Luftdruck, relative Luftfeuchtigkeit und Lufttemperatur.

Es konnte festgestellt werden, dass einige Proband*innen vor allem auf das Element Lufttemperatur sensibel reagiert haben. Ebenso konnte nachgewiesen werden, dass auch der Luftdruck bei einigen Migräneattacken ausgelöst hat. Luftfeuchtigkeit jedoch hat keine signifikanten Änderungen im Bezug auf Migräneattacken ausgelöst.

Manche Teilnehmer*innen reagierten auf mehrere Wetterelemente sensibel und am häufigsten sind laut dieser Studie Wetterveränderungen, also Schwankungen innerhalb eines Tages relevant für Betroffene.

Da die Teilnehmer*innen sehr unterschiedlich bis gar nicht auf die einzelnen Wetterelemente reagiert haben, kann keine allgemeingültige Aussage bezüglich des Wetters auf Migräneattacken getroffen werden.

1 Epidemiology of headache, Mazoni et al., 2010, Handb Clin Neurol. 2010;97:3-22. doi: 10.1016/S0072-9752(10)97001-2

2 Journal of Health Monitoring, Migräne und Spannungskopfschmerz, RKI und Destatis, 2020

3 Robbins, L., 1994 Precipitating Factors in Migraine: A Retrospective Review of 494 Patients. Headache, 34 (4), 214-216

4 Hofmann et.al, 2015, The influence of weather on migraine- are migraine attacks predictable? Annals and Translational Neurology, 2 (1), 22-28.

5 Florian Wogenstein, 2018, Uni Rostock, Untersuchung des Einflusses verschiedener Wetterelemente als mögliche Auslöser  migräneartiger Kopfschmerzen

Confirmation Bias

Wie Wahrnehmung die Wirklichkeit verzerren kann und was das für Sie und uns als Therapeutinnen und Therapeuten bedeutet

Stimmt, oder? Wenn man es eilig hat, sind immer alle Ampeln rot!

Oder???

Was ist Confirmation Bias?

Übersetzen kann man Conformation Bias mit Bestätigungsfehler. Beispielsweise ist ein Confirmation Bias, dass die Ampeln immer rot sind, wenn man es eilig hat.

Es ist ein psychologisches Phänomen, dass wir versuchen, die Dinge zu bewerten, sodass sie zu unseren Annhamen passen.

Dazu gehört, dass wir uns auch nur an einzelne Dinge erinnern, die unsere Annhame bestätigen. Im Falle der roten Ampel fallen uns also all die Situationen ein, in denen wir es eilig hatten und alle Ampeln rot waren. Die Fälle, in denen die Ampeln ebenso rot waren, wenn wir es nicht eilig hatten, an die erinnern wir uns nicht. Oder aber an die Fälle, in denen wir es eilig hatten und die Ampeln grün waren, fallen uns auch nicht mehr ein.

Wir suchen also nach der Bestätigung für unsere Annahmen. Wir interpretieren aber auch Situationen so, dass sie zu unserer Annahme passen. Wir kommen auch nicht auf die Idee, Faktoren objektiv zu betrachten, um unsere Annahmen zu entkräften. Vielmehr noch ignorieren wir Fakten, die unsere Annahmen entkräften.

Es ist also das Bestätigen von vorhandenen Hypothesen.

Warum tun wir das?

Wir tun das, um Fehlentscheidungen zu vermeiden. Durch psychologische Experimente konnte festgestellt werden, dass es eine Rolle spielt, dass Informationen, die zu unserer Annahme passen, besser erinnert werden können und auch höher gewertet werden, als unpassende. Außerdem wurde herausgefunden, dass Informationen, die unsere Annahmen widerlegen, gemieden werden.

Aktuell kann man Conformation Bias sehr gut anhand des Beispiels der Corona Pandemie erkennen. Oder kennen Sie nicht auch unzählige Menschen, die erkranken, obwohl sie geimpft sind? 😉 Das ist natürlich zynisch gemeint. Die Studienlage zeigt, dass die Impfungen wirksam sind und vor schweren Verläufen schützen. Dennoch suchen manche immer wieder nach der Bestätigung, dass die Impfungen nicht wirken.

Keine Kausalität

Es mag sein, dass Ereignisse gleichzeitig auftreten, aber man muss bedenken, dass nicht immer unbedingt eine Kausalität besteht.

Dies hat u.a. evultionäre Gründe, die nicht zwangsläufig negativ sind. Es ist nichts schlimmes, aus Erfahrungen, die man gemacht hat, Rückschlüsse für die Zukunft zu ziehen. Zum Beispiel, wissen wir, dass eine Herdplatte, die rot leuchtet wahrscheinlich heiß ist. Das ist eine Erfahrung, die wir in unserem Leben eventuell gemacht haben. Wir müssen das nicht jedes Mal aufs Neue prüfen.

Um Kausalität besser zu erklären, folgendes Beispiel:

Wenn zum Beispiel, durch ein verstärktes öffentliches Interesse an einer Erkrankung vermehrt Gesundheitsdienste in Anspruch genommen werden, kann es passieren, dass wir einem Confirmation Bias unterliegen.

Es ist nämlich nicht unbedingt so, dass der Schluss gezogen werden kann, dass nur weil die Zahl an Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten gestiegen ist, dies an einer erhöhten Anzahl an Erkrankten liegt. Das öffentliche Interesse an einer Erkrankung ist lediglich gestiegen

Als Beispiel kann man hier das verstärkte öffentliche Interesse an der chronischen Darmerkrankung Zöliakie nennen.

Dadurch, dass das Thema Zöliakie medial mehr Aufmerksamkeit bekommen hat, könnte man bei einfachen Magen Darm Problemen davon ausgehen, unter einer Zöliakie zu leiden, viele Argumente dafür, wenige dagegen zu finden und dann auf glutenfreie Lebensmittel umzusteigen. Die Lebensmittelindustrie hat sich in den letzten Jahren angepasst und bringt immer mehr glutenfreie Lebensmittel auf den Markt. Das kann möglicherweise unsere Wahrnehmung dahingehend verzerren, dass wir annehmen, dass es immer mehr Menschen gibt, die unter Zöliakie leiden.

Es könnte also passieren, dass Menschen mit Bauchschmerzen annehmen, sie seien an Zöliakie erkrankt. Somit unterziehen sie sich vermehrt Untersuchungen und Screenings, die eine Zöliakie nachweisen können. Das kann sich positiv auf die Früherkennung auswirken, dennoch aber auch die eigene Wahrnehmung oder eben aber auch Studien verzerren. Daher wird in Studien bestmöglich objektiv vorgegangen. Je mehr Faktoren in einer Studie vorliegen und beachtet werden, desto mehr kann von einer faktischen Tatsache ausgegangen werden.

Ein weiteres Beispiel hierfür ist auch, dass die Amerikanerin Jade Goody sich 2009 dazu entschied, mit ihrer Krebsdiagnose an die Öffentlichkeit zu gehen. Das führte dazu, dass sich sehr viel mehr Frauen daraufhin einem Krebsscreening unterzogen und somit viele Frauen frühzeitig behandelt wurden. Die Studienlage zeigte eine hohe Anzahl von Frauen, die sich solchen Screenings unterzogen. Es konnte hier eine direkte Kausalität festgestellt werden, zwischen Goodys Öffentlichkeitsarbeit und der Anzahl der Frauen, die sich untersuchen ließen. Denn traurigerweise wurde in einer Studie einige Jahre später festgestellt, dass die Anzahl der Frauen, die sich einem solchen Screening unterzogen haben, auf den Tiefpunkt gesunken war. Mehr dazu findet man unter „Jade Goody Effect“.

Was bedeutet das für Sie als Mensch mit Beschwerden?

Bleiben Sie bitte immer kritisch und so objektiv wie möglich. Versuchen Sie, zu erkennen, dass Sie möglicherweise dem Confirmation Bias auferliegen könnten, wenn Sie annehmen, dass bestimmte Beschwerden auf eine bestimmte Erkrankung hinweisen müssen und Sie dafür vielleicht tatsächlich auch Beweise finden. Stellen Sie sich hierbei immer die Frage:

Kann ich mit hundert prozentiger Sicherheit behaupten, dass das stimmt?

Hinterfragen Sie sich selbst, ob Sie vielleicht andere Argumente, die Ihrer Annahme nicht entsprechen, ausblenden. Überprüfen Sie die Studienlage, auch wenn diese nicht Ihren Annahmen entspricht.

Suchen Sie sich medizinsiche Unterstützung bei denen, die evidenzbasiert arbeiten und Sie nicht in Schubladen stecken.

Bleiben Sie auch bitte kritisch bei Aussagen, wie: „Rückenschmerzen, das hilft wirklich!“ Wirklich? Ihnen auch? Sind Sie sicher? Was genau sind diese Rückenschmerzen, von denen dieser Herr im Youtube Video erzählt?

Was bedeutet das für uns als Therapeutinnen und Therapeuten?

Gut ausgebildete, evidenzbasiert arbeitende, Therapeutinnen und Therapeuten, wissen um Confirmation Bias. Wir wissen zu differenzieren und achten genau darauf, unsere Patientinnen und Patienten nicht in die sogenannten Schubladen zu schieben, wir handeln nach bestmöglicher Objektivität und nach ebensolchen Studien. Wir denken differenziert und entwerfen bestmöglich individuelle Therapieansätze.

Wir wissen, klinische Tests auszuwerten und zu validieren. Wir achten auf limitierende Faktoren, die die Testergebnisse beeinflussen können.

Es gibt keine Schubladenbehandlung und kein 08/15 Standardprogramm für „den Schmerzpatient“ oder „die Schulterpatientin“, auch wenn Sie von diesen vermeintlichen Online Anbietern, oder selbsternannten Gurus auf Youtube und Social Media anderes hören.

Kommunikation und die Bedeutung für die Behandlung in der neurologischen Physiotherapie bei Menschen mit Sprachstörungen

In der neurologischen Physiotherapie werden Menschen nach Schlaganfall, oder Erkrankungen, wie MS, ALS oder beispielsweise Morbus Parkinson behandelt. Nicht selten gehen motorische Einschränkungen bzw. Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit hierbei mit Einschränkungen der Kommunikationsfähigkeit einher. Dies stellt andere Anforderungen an die physiotherapeutische Behandlung, als beispieslsweise bei rein orthopädischen oder chirurgischen Patient:inen.

Es muss allerdings eine klare Abgrenzung zwischen Sprachstörungen und Sprechstörungen geschaffen werden. Während Sprachstörungen neurologische Erkrankungen oder Läsionen des Gehirns vorausgehen, sind Sprechstörungen meist angeborene, selten erworbene Beeinträchtigungen der motorisch- artikulatorischen Bildung von Lauten, Worten und Sätzen.

Eines gilt für Menschen mit Sprechstörungen, wie für Menschen mit Sprachstörungen:

Für Menschen mit Sprech- oder Sprachstörungen ist es wichtig, sich trotz aller Einschränkungen mitzuteilen, vor allem aber mündig zu bleiben. Dies sollte oberste Priorität bei allen Therapeut:innen im Umgang und in der Behandlung dieser Menschen sein!

Abgrenzung Sprachstörung zu Sprechstörung

Eine Sprachstörung ist eine gedankliche Störung bei der Bildung von Worten und Sätzen. Bei Sprachstörungen kann auch das Sprachverständnis beeinträchtigt sein. Ursachen sind Verletzungen oder Erkrankungen im Gehirn und ZNS. Betroffene haben Schwierigkeiten sinnvolle Sätze zu bilden oder andere zu verstehen. Der unten folgende Text geht weiter auf die verschiedenen Arten der Sprachstörungen, der Aphasie ein.

Sprechstörungen können z.B. Lispeln sein oder Redeflussstörungen, wie Stottern oder Poltern. Die gedankliche Bildung von Sprache ist nicht gestört, ebenso wenig wie das Sprachverständnis. Die Erzeugung von Lauten oder der Redefluss ist beeinträchtigt. Grammatik und Wortwahl sind korrekt. Redeflusstörungen äußern sich durch Laut-, Wort- oder Silbenwiederholungen, oder auch Blockaden beim Stottern und durch sehr schnelles unrhythmisches Sprechen, Wortverschmelzungen, „Verschlucken“ von Silben und Lauten beim Poltern. Sprechstörungen sind angeborene, selten erworbene Einschränkungen der Kommunikationsfähigkeit und können in unterschiedlich stark oder weniger stark ausgeprägter Form auftreten.

Apahsie

Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung, die in den meisten Fällen durch einen Schlaganfall entsteht. Bei ungefähr einem Drittel der Patient:innen mit erstem Schlaganfall tritt auch eine Aphasie auf, die sich aber auch nach ungefähr vier Wochen wieder zurückbilden kann. Nach einem halben Jahr sind ca. 44 Prozent dieser Patient:innen frei von Sprachstörungen.

Man unterscheidet vier Apahsie- Syndrome:

Broca Aphasie

Die Broca Aphasie beruht auf einer Läsion des Broca Sprachzentrums der Großhirnrinde. In den meisten Fällen aufgrund eines Infarkts, also einer Minderdurchblutung, in dem Fall der Arteria praerolandica, einem Ast der Arteria cerebri media. Seltener durch Infektionen, Autoimmunerkrankungen oder Metastasen.

Vereinfacht gesagt, ist die Sprachproduktion bei der Broca Aphasie beeinträchtigt, wohingegen das Sprachverständnis intakt ist.

Für Betroffene bedeutet dies, dass es ihnen schwer fällt, Sätze zu formulieren. Die Broca Aphasie äußert sich durch langsame, stockende Sprache mit großen Pausen und angestrengtes Sprechen. In gravierenden Fällen werden Worte ohne Artikel oder Präpositionen aneinandergereiht, um inhaltlich eine Information zu vermitteln.

Menschen mit Broca Aphasie nehmen ihre eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten genau wahr und sind häufig frustriert darüber.

Beispiel: Ähm….morgen….arbeiten….früh…ja….Firma…neun….ja…Uhr….

Wernicke Aphasie

Bei dieser Art der Apahsie beruht die Sprachstörung auf dem fehlenden Sprachverständnis. Während die Sprache zwar flüssig ist, ist sie inhaltsarm oder inhaltsleer und das Verständnis für das Gesagte fehlt. Typischerweise findet man bei Menschen mit Wernicke Aphasie eine inhaltslose Aneinanderreihung von langen, komplexen, Sätzen, oder Satzwiederholungen, zusätzliche Silben, Neologismen, oder auch einen ungehemmten Redefluss. Häufig werden auch Floskeln verwendet

Die Wernicke Aphasie wird meist ausgelöst durch einen Schlaganfall im Gebiet der Arteria cerebri media, welche das Wernicke Sprachzentrum versorgt. Dieses Sprachzentrum ist für das Sprachverständnis zuständig.

Bei diesen Menschen ist die Kommunikation leicht bis mittelschwer gestört.

Beispiel: Ich war im Krankenwagen und dann wissen Sie ja bin ich bewusstlos im Krankenhaus ja und hab ich nix mehr gemerkt, Medimente (Pause) Medikamente bekommen wie Sie sehen und hin und her war dann da ein Schagfall (Pause) Schlaganfall und so weiter und sofort war die linke taube Seite alles weg.

Amnestische Aphasie:

Bei der Amnestischen Aphasie handelt es sich um die leichteste Form der Aphasie. Sie zeichnet sich vor allem durch Wortfindungsstörungen aus. Es ist nicht immer klar erkennbar, in welchem Bereich des Gehirns genau die Verletzung entstanden ist, die diese Form der Aphasie nach sich zieht. Meist sind es kleinere Läsionen im temporoparietalen Bereich. Ursachen hierfür können ein Schlaganfall, ein Schädel Hirn Trauma oder Hirntumor sein.

In der Spontansprache aber auch bei der Benennung von Gegenständen kommen Wortfindungsstörungen vor. Häufig umgehen Betroffene diese Einschränkungen in der Kommunikation mit Umschreibungen der gesuchten Wörter oder benutzen einen Oberbegriff (Tulpen- Blume). Lautstruktur, also Tonhöhe, Tondauer und Betonung, sowie der Satzbau sind selten beeinträchtigt. Allerdings kann es sein, dass Betroffene die Sätze dann auch einfach abbrechen. Die Kommunikation ist leicht bis mittelschwer eingeschränkt.

Beispiel: Ich hab im Garten gearbeitet und dann wollt ich diese, …ähm….wie heißen die nochmal….diese….ähm Blumen (gemeint waren Tulpen) pflanzen und dann hab ich gemerkt, wie mir schwindelig wurde und dann war alles schwarz. Ich kann mich noch erinnern wie diese Ärzte um mein Bett standen. Die haben mir dann gesagt, dass ich viele nicht Spritzen….Spr….nä….Medikamente in Flaschen…..Infusionen bekommen habe.

Globale Aphasie

Die globale Aphasie ist die schwerste Form der Aphasien und betrifft das Sprachverständnis sowie die Sprachbildung. Hier ist ganz wenig bis gar keine verbale Kommunikation möglich. Betroffene reihen häufig Silben hintereinander. Auch das Lesen ist stark beeinträchtigt. Ausgelöst wird die globale Aphasie durch eine schwere zerebrale Schädigung, die das motorische, sowie das sensorische Sprachzentrum betrifft.

Beispiel: Ja dasisdasisdasisdasis….also dadadadadadadad. Egal.

Abgrenzung zu Dysarthrie und Apraxie

Eine Dysarthrie ist eine Störung in der Steuerung und Ausführung von Sprechbewegungen, ausgelöst durch Schädigungen im Zentralen Nervensystem oder von Hirnnerven. Hierbei ist der Sprechapparat (z.B. Zungenmuskulatur) intakt, aber die motorische Innervation gestört. Es fehlt also die Kontrolle über die ausführenden Sprechwerkzeuge (Atmung, Kehlkopf, Zunge, etc.)

Beispielsweise kann eine Dysarthrie bei MS auftreten, durch ein Parkinson Syndrom oder bei ALS.

Sprech- Apraxie zeichnet sich durch eine Störung in der Planung von Sprechbewegungen aus. Kennzeichnend ist auch eine Störung in der Betonung von Lauten, der Sprechmelodie und der Artikulation, zeigt sich aber auch im Sprechverhalten. Hin und wieder kommt es auch zu Lautvertauschungen. Auffällig ist diese Störung meist an Satzanfängen, bei denen Betroffene versuchen, einen Laut mit ihrem Sprechwerkzeug zu bilden. Da das Sprachverständnis nicht eingeschränkt ist, ist die Frustration bei Betroffenen sehr groß. Die Anstrengungen beim Sprechen zeigen sich häufig in angespannter Hals- und Gesichtsmuskulatur. Meist entstehen Apraxien durch eine Schädigung der linken Hirnhälfte in der Nähe des Sprachzentrums. Daher ist es nicht selten, dass Apraxien auch mit einer Aphasie einhergehen können.

Bedeutung von Kommunikationsschwierigkeiten in der physiotherapeutischen Behandlung

In der Behandlung von Menschen mit eingeschränkten kommunikativen Fähigkeiten muss genau unterschieden werden, ob und welche Sprach- oder Sprechstörung vorliegt. Während Beeinträchtigungen, die die Bildung von Sprache, also die rein motorische Komponente betreffen, und das Sprachverständnis nicht beeinflussen, die Kommunikation innerhalb des therapeutischen Kontextes nicht so schwer eingeschränkt ist, stellen mittelschwere bis schwere Aphasieformen in der Behandlung von Patient:innen andere Anforderungen dar.

Physiotherapeutische Behandlungen sind zeitlich durch Vorgaben der gesetzlichen Krankenkassen limitiert. Im Bereich der neurologischen Physiotherapie ist ein Zeitrahmen von 25 bis 30 Minuten (PNF) bzw. 30 bis 45 Minuten (Bobath) gegeben. Ziel sollte es also sein, in diesem Zeitrahmen ein effektives Anamnesegespräch durchzuführen und dann gemeinsam mit den Patient:innen Ziele der Therapie auszuformulieren und zu kommunizieren. Hierfür bedarf es Geduld, Fingerspitzengefühl, Empathie und vor allem die genaue Kenntnis über die vorliegende Kommunikationsstörung.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Physiotherapeuten, Logopäden und Ergotherapeuten spielt in der Behandlung neurologischer Patient:innen u.a. mit Sprachstörungen meines Erachtens eine sehr wichtige Rolle im Sinne der Genesung der Patient:innen, sowie in der Verbesserung der Lebensqualität.

Möglicherweise kann mit den behandelnden Ärtz:innen und den Versicherern auch eine Doppelbehandlungseinheit verhandelt werden. Dies ist aber nicht immer möglich. Daher hat es sich in meiner Praxis bewährt, gezielte Anamnesegespräche zu führen und da, wo es notwendig ist, Angehörige mit zu diesen Gesprächen einzuladen.

Anamnesegespräch

Wie bei allen Therapien ist es wichtig, die zu behandelnde Person mit einem ganzheitlichen, professionellen Blick an erste Stelle zu stellen und zu erarbeiten, was deren Ziele und Wünsche sind. Die Therapeut:innen sollten sich gerade hier und auch generell mit ihren eigenen Ideen und Vorschlägen zurücknehmen. Ebenso sollte man darauf achten, dass man nicht zu der Person wird, die den Patient:innen eine Antwort „in den Mund legt“ oder versucht, voreilig zu erahnen, was der oder diejenige einem mitteilen will. Das kann Frust und Ablehnung bei den Patient:innen nach sich ziehen.

Nonverbale Kommunikation sollte nicht nur, aber gerade in schwerwiegenderen Fällen beachtet werden.

Es gilt herauszufinden, was die Patient:innen als erstes gerne im Sinne der Verbesserung der Lebensqualität erreichen würden. Hierfür wird in meinen Gesprächen bei durch Aphasie stark betroffene Patient:innen der zeitliche Rahmen am größten gesetzt und kann auch gerne eine oder, wenn nötig mehrere komplette Behandlungseinheiten in Anspruch nehmen. Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass weitere Dinge dann auch in den darauffolgenden Behandlungseinheiten, während der physiotherapeutischen Behandlung besprochen und in die laufende Behandlung einbezogen werden können.

In Erfahrung zu bringen, was die Person vor ihrer Erkrankung gerne gemacht hat, kann ein guter Ansatz sein, motorische Defizite physiotherapeutisch zu behandeln. Manchmal ist es aber auch so, dass der Frust darüber, manche Dinge nicht mehr so ausführen zu können wie früher, dem Wunsch sie wieder zu können, überlegen ist. Auch das kann man mit nonverbaler Kommunikation feststellen. Ein „wird schon wieder“ kann genauso frustrierend sein, wie eine Bewegung, die nicht mehr funktioniert.

Als Therapeut:in sollte man hier sehr feinfühlig vorgehen. Der Frust gerade bei den Betroffenen, deren Sprachverständnis intakt ist, kann sehr groß sein. Eine nicht optimale Herangehensweise während des Anamnesegesprächs und den darauffolgenden Behandlungen, kann ein Grund sein, warum kein gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden kann und somit auch der Behandlungserfolg für die Person ausbleibt.

Die Therapie in kleine Teilabschnitte zu untergliedern und weiter fortschreitend aufzubauen, kann die Frustration herabsetzen und die Compliance der Patient:innen erhöhen.

Befundung und Behandlung

In die Befundung fließen diverse klinische Tests ein, die zum Teil aktiv durch die Patient:innen ausgeführt werden müssen. Bei eingeschränktem oder nicht vorhandenem Sprachverständnis, kann es helfen, Testungen“vorzumachen“ und dabei zu erklären, was man verlangt. Ebengleiches gilt für Übungen im Anschluss an die physiotherapeutische Befunderhebung.

Hin und Wieder kommt es auch vor, dass der Fortschritt in der Therapie stagniert. Spätestens dann ist es wichtig, immer wieder zu fragen, ob man gemeinsam mit der/dem Patient:in noch auf dem richtigen Weg ist, ob sich vielleicht etwas an den Ansprüchen an die Therapie oder an den Therapiezielen verändert hat, oder ob man sich missverstanden hat.

Bedenken sollte man auch, dass auch wir als Physiotherapeut:innen mit passiven Maßnahmen die Logopädie unterstützen können, in dem wir zum Beispiel hypertone oder hypotone Muskulatur(zu starke oder zu schwache Spannung) des Sprechapparats mit Techniken aus der Physiotherapie ausgleichen können. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass sich Logopädie und Physiotherapie hier im Austausch gegenseitig befruchten und für die Patient:innen gute Voraussetzungen für den Behandlungserfolg schaffen können.

Es gilt, als professionelle Begleiter für die Patient:innen „mitzudenken“, ihnen zwar keine Worte in den Mund zu legen, aber vorausschauend, empathisch und feinfühlig zu spüren, wann es an der Zeit ist, dass sie oder er eventuell etwas mitteilen möchte und dann das Gespräch mit Ruhe und Geduld zu führen. Die Kenntnis über diverse neurologische Krankheitsbilder, ihre Symptome und Auswirkungen auf Körper und Psyche ist genauso wichtig, wie Kenntnisse über verbale und nonverbale Kommunikation.

Ziel neben den körperlichen Aspekten einer neurologischen Erkrankung sollte sein, physiotherapeutisch auch zur Verbesserung der Aphasie beizutragen, indem die Patient:innen auch innerhalb der Behandlung zur Kommunikation ermuntert werden, sie somit an der sozialen, wie kommunikativen Teilhabe im privaten und beruflichen Kontext zu bestärken und wenn nötig auch die Angehörigen mit in die Therapie einzubeziehen.

Reden und verstehen, ohne zu sprechen, Bewegung in Sprache umzuwandeln und so Kommunikation zu betreiben kann in der Physiotherapie eine Herausforderung, aber zugleich ein Gewinn für Patient:in und Therapeut:in sein. Dazu kann auch auch abschließend folgendes Zitat beitragen:

»Gesten sind ein wunderbares Fenster in die Welt der unausgesprochenen Gedanken«

Susan Goldin-Meadow

Weg mit dem Theraband und her mit den Gewichten!

Evidenzbasierte Therapieempfehlungen bei Osteoporose

Gehören Sie zu den Menschen, die sich fürchten, hinzufallen, weil sie sich dann was brechen könnten, denn da steht die Diagnose „Osteoporose“ im Raum? Haben Sie vielleicht sogar deshalb schon aufgehört, Ihrem Lieblingssport nachzugehen? Dann könnte dieser Artikel für Sie hilfreich sein. Sie können getrost Ihr leichtes Theraband nun wegräumen oder dekorativ irgendwie verbasteln. Denn bei Osteoporose ist gezieltes und durch Fachpersonal überwachtes Krafttraining hocheffizient. Vergessen Sie auch Hockergymnastik. Im folgenden Blogbeitrag erhalten Sie informative Einblicke in die derzeit bestwirksamste Therapiemethode bei Osteoporose.

Was ist Osteoporose?

Unsere Knochen bestehen aus Knochenmasse, den sogenannten Osteoblasten (aufbauende Knochenzellen) und Osteoklasten (abbauende Knochenzellen). Diese Zellen stehen physiologisch in einem ausgeglichenen Verhältnis, da unsere Knochen sich in ständigem Prozess aus Auf-, Ab- und Umbau befinden. Knochen bilden sich aufgrund der angeforderten Belastung auf. Verringert sich diese Knochenmasse krankhaft, so spricht man von einer Osteoporose. Unter Osteoporose versteht man also eine Erkrankung des Skeletts, die sich durch den Abbau von Knochenmasse und Veränderung innerhalb der Knochenstruktur auszeichnet.

Dies zieht eine erhöhte Bruchgefahr der Knochen, sowie vermehrte Häufigkeit von Knochenbrüchen nach sich.

Das Risiko, einen Knochenbruch zu erleiden wird durch drei Faktoren mitbestimmt:

  • Knochenstärke
  • Sturz Impact (also die Kraft, die der Sturz auf den Knochen auswirkt)
  • Sturz Frequenz (Häufigkeit der Stürze)

Studien 1 zufolge gibt es derzeit 7,8 Mio. an Osteoporose erkrankte Menschen in Deutschland. Weiter weiß man, dass eine medikamentöse Therapie Brüche an Wirbeln, Oberschenkelknochen oder Schenkelhals deutlich reduzieren kann. Eine weitere Studie2 kam zu dem Ergebnis, dass eine gezieltes Training in Bezug auf die medikamentöse Therapie ähnlich gute Erfolge erzielen kann.

In der deutschen Leitlinie für Osteoporosetherapie wird Training ebenso empfohlen. 3

Das optimale Trainingsprogramm

Es gibt drei Faktoren, die sich im Training positiv auf die Knochenfestigkeit auswirken:

Muskelzug Muskeln üben auf den Knochen einen gewissen Druck, Beuge- oder Scherbelastung aus. Diese Reize benötigt der Knochen, um sich aufzubauen.

Axiale Belastung Axiale Belastung ist eine Kraft, die von oben oder von unten senkrecht auf den Knochen wirkt.

Systemischer Faktor Durch die Belastung hervorgerufene hormonelle Veränderungen im Körpersystem kann die Reaktion innerhalb eines Knochens durch Trainingsreize verändert werden. Man kann davon ausgehen, dass ein gezieltes Ausdauer- oder auch Krafttraining die Bildung der Knochensubstanz und den Kalziumhaushalt positiv beeinflusst.

Welche Trainings- oder Sportarten kommen also am Besten in Frage?

Für die Festigkeit der LWS oder den Schenkelhals eignen sich Sportarten und Trainings, wie:

  • Gewichtheben
  • Schwimmen
  • Tanzen
  • Laufen

Welche Sportarten und Trainings für Sie am Besten geeignet sind, kann Ihr*e Physiotherapeut*in beurteilen und mit Ihnen besprechen. Hierbei spielen auch einige Belastungsfaktoren, wie Art, Intensität, Umfang, Dauer und Dichte des Trainingsreizes, sowie die Trainingshäufigkeit eine Rolle.

Vergessen Sie also Hockergymnastik und das leichte Theraband

In einer Studie4 zum LIFTMOR Training wurden postmenopausale Frauen 5, sowie Männer 6 mit Osteoporose/Osteopenie untersucht. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass ein hochintensives Kraft- und Impacttraining bei dieser Personengruppe unter professioneller Aufsicht sicher und hocheffektiv ist und zu deutlich verbesserter Knochendichte führt. Die Teilnehmer*innen erzielten außerdem sehr gute Ergebnisse in bspw. Muskelfunktionstests, oder auch bei Tests, die eine Aussage über die Sturzanfälligkeit treffen.

Text: Christina Sattler

Bild: Pixabay

Literatur: Physio meets science

Quellen:

1 Häussler B, Gothe H, Gol D et al. Epidemiology, treatment and costs of osteoporosis in Germany – the BoneEVA Study.
Osteoporos Int 2007; 18: 77–84

2 Kemmler W, Häberle L, von Stengel S. Effects of exercise on fracture reduction in older adults: a systematic review and meta-analysis. Osteoporos Int. 2013 Jul;24(7):1937-50. doi: 10.1007/s00198-012-2248-7. Epub 2013 Jan 10. PMID: 23306820.

3 https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/183-001.html

4 Watson SL, Weeks BK, Weis LJ, Harding AT, Horan SA, Beck BR. High-intensity exercise did not cause vertebral fractures and improves thoracic kyphosis in postmenopausal women with low to very low bone mass: the LIFTMOR trial. Osteoporos Int. 2019 May;30(5):957-964. doi: 10.1007/s00198-018-04829-z

5 Watson SL, Weeks BK, Weis LJ, Harding AT, Horan SA, Beck BR

Journal of bone and mineral research, 2018, 33(2), 211‐220 added to CENTRAL: 31 October 2019 2019 Issue 10

6Harding AT, Weeks BK, Lambert C, Watson SL, Weis LJ, Beck BR. A Comparison of Bone-Targeted Exercise Strategies to Reduce Fracture Risk in Middle-Aged and Older Men with Osteopenia and Osteoporosis: LIFTMOR-M Semi-Randomized Controlled Trial. J Bone Miner Res. 2020 Aug;35(8):1404-1414. doi: 10.1002/jbmr.4008. Epub 2020 Mar 30. PMID: 32176813

Das Karpaltunnelsyndrom

und die Behandlung nach neuestem Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse

Sie kennen das vielleicht: Kribbeln, Taubheitsgefühle oder Schmerzen in der Hand oder den Fingern. Das könnte ein Karpaltunnelsyndrom sein, doch wie kann man testen, ob dieses Syndrom möglicherweise vorliegt?

Der Phalen- Test kann Hinweise darauf geben

Dieser klinische, neurologische Test wird durchgeführt, wenn man wissen möchte, ob bei obengenannten Beschwerden eventuell ein Karpaltunnelsyndrom vorliegt. Dazu wird das betroffene Handgelenk maximal gebeugt und in dieser Stellung für ungefähr eine Minute in dieser Position gehalten. Löst dies die Beschwerden aus, liegt möglicherweise ein Karpaltunnelsyndrom vor. Hierbei wird der Medianus Nerv komprimiert.

Was ist der Karpaltunnel?

Als Karpaltunnel bezeichnet man einen Bereich unterseitig am Handgelenk zwischen einem straffen Band und den Handwurzelknochen. Hier verläuft unter anderem der Medianus Nerv.

Der Medianus Nerv

Der Nervus medianus ist ein Nerv, der sowohl für motorische, als auch sensible Innervation sorgt, also Muskeln und auch Hautgebiete versorgt.

Er ist einer von vielen Nerven, die dem großen Armnervengeflecht (Plexus brachialis) entspringen. Dieser Nerv enthält Faseranteile, die den Halswirbelsegmenten C6 bis Th1 (6. Halswirbel bis 1. Brustwirbel) entspringen, er zieht durch die Achsel an der Innenseite des Oberarms über die Ellenbeuge zum Unterarm und von dort zum Handgelenk. An der Unterseite des Unterarms durchquert er auf Höhe des Handgelenks den sogenannten Karpaltunnel und läuft weiter bis zur Handfläche.

Motorisch versorgt dieser Nerv fast alle Beuger des Unterarms, Beuger des Handgelenks und fast aller Fingerbeuger, sowie Anteile der Daumenballenmuskulatur.

Sensibel versorgt er die Handinnenfläche an der Haut des Daumens, Zeigefingers, Mittelfingers und der dem Mittelfinger zugewandten Seite des Ringfingers. Auf der Handrückenseite versorgt der Nervus medianus außerdem die Haut des Daumens, des Zeige- und Mittelfingers ab ungefähr der Mittelgelenke dieser Finger, sowie den, dem Mittelfinger zugewandten oberen Anteil des Ringfingers.

Was passiert, wenn der Nervus medianus komprimiert wird?

Der Funktion des Nerven entsprechend zeichnet sich eine Kompression des Nervus medianus dadurch aus, dass beim Versuch, die Hand zu einer Faust zu ballen, die ersten drei Finger nicht komplett gebeugt werden können. Man spricht von der sogenannten „Schwurhand“.

Sensible Ausfälle, wie Missempfindungen (Taubheit, Kribbeln) tauchen in den oben genannten sensiblen Versorgungsgebieten auf, also Daumen, Zeige- und Mittelfinger, sowie Teile des Ringfingers.

Die Behandlung in der Physiotherapie

  • Schiene
    • Vor allem bei Schmerzen in der Nacht, kann eine Schiene Linderung verschaffen. Der Medianus Nerv wird hauptsächlich dann komprimiert, wenn das Handgelenk sehr gebeugt oder sehr gestreckt ist. Eine Schiene kann das Handgelenk in Neutralstellung halten. Laut wissenschaftlichen Erkenntnissen kann es bis zu 8 Wochen dauern, bis man eine Besserung der Symptome erreicht.
  • Modifikation der Aktivität
    • Es wird empfohlen, Tätigkeiten, die ein langes übermäßiges Beugen oder Strecken des Handgelenks erfordern, zu reduzieren und für ausreichende Pausen bspw. bei der PC Arbeit einzulegen, wenn die Tätigkeiten nicht in einer neutralen Handgelenksposition ausgeführt werden können
  • Physiotherapie/ Ergotherapie
    • In der Therapie werden gezielte Übungen gezeigt, um den Nerv zu mobilisieren und so zu einer Entlastung beizutragen
  • Injektionen
    • Sollten obengenannte Methoden nicht erfolgreich sein, wird mit entzündungshemmenden Medikamenten nahe des Karpaltunnels eine Injektion durchgeführt, die zum Abschwellen des Gebiets um den Nerv beiträgt und so die Kompression mindert. Das kann zu einer Schmerzlinderung beitragen
  • Operation
    • Führen alle voran genannten Maßnahmen nicht zur Linderung der Beschwerden, oder sind die Schmerzen und Funktionseinschränkungen so stark, dass starke Beeinträchtigungen bereits zu Beginn auftreten, wird eine Operation durchgeführt, bei der durch einen offenen Schnitt oder einen endoskopischen Eingriff mehr Platz im Karpaltunnel für den Nervus medianus geschaffen wird.

Bitte lassen Sie sich von einer/einem spezialisierten Ärztin/ Arzt untersuchen und holen Sie sich gegebenenfalls auch immer eine Zweitmeinung ein. Wie Sie jetzt wissen, ist der Nervus medianus ein sehr großer Nerv, der über den kompletten Arm zieht. Nicht jede Funktionseinschränkung oder Sensibilitätsstörung muss zwangsläufig ein Karpaltunnelsyndrom sein. Es gibt diverse Möglichkeiten ein Karpaltunnelsyndrom zu behandeln.

Eine Operation sollte die letzte Wahl sein, wenn alle anderen Maßnahmen nicht zum Ziel führen und nur dann erste Wahl sein, wenn die Schmerzen und Funktionseinschränkungen Sie massiv beeinträchtigen.

Text: Christina Sattler

Quelle: Physio meets science Infografik

Bild: Pixabay

Therapie sensomotorischer Störungen nach Schädel Hirn Trauma, Schlaganfall und anderer hirnorganischer Erkankungen

Unter „sensomotorisch“ versteht man die Fähigkeit, Bewegungen zu kontrollieren. Das funktioniert, indem wir einen Reiz mit unseren Sinnesorganen (Augen, Ohren, Nase, Haut) wahrnehmen und die Bewegung darauf anpassen. Unser Gehirn bringt diese Leistung zustande.

Sie möchten etwas trinken. Das Glas mit Wasser steht vor Ihnen. Sie sehen das Glas und Ihr Arm führt eine zielgerichtete Bewegung aus. Hand und Finger greifen nach dem Glas, spüren die Beschaffenheit des Glases (Sie greifen also anders, als würden Sie einen weichen, leichten Gegenstand greifen) und Sie führen das Glas auf direktem Wege zum Mund.

Ihr Gehirn reagiert auch sofort auf die Reize. Wie weit steht das Glas weg, wie fühlt sich der Gegenstand an und welche Bewegung muss ich nun einleiten. Ihr Gehirn hat diese Bewegung abgespeichert, weil wir sie oft genug als Kind geübt haben. Faszinierend, oder?

Unser Gehirn unterliegt einer gewissen „Plastizität“. Das bedeutet, unser Gehirn ist in der Lage, sich an Gegebenheiten anzupassen und wie in diesem Fall, Bewegungsabläufe auch abzuspeichern. Auf diese Art haben Sie krabbeln, laufen und eben auch aus einem Glas zu trinken gelernt. Sie müssen nicht immer wieder neu lernen, wie man ein Glas greift.

Wird das Gehirn nun verletzt wird, so wie es beispielsweise bei einem Schlaganfall oder einem Schädel Hirn Trauma geschieht, dann sind sensomotorische Störungen die häufigste Folge. Sensible und motorische Funktionsstörungen sind die häufigsten neurologischen Ausfälle nach etwa einem Schlaganfall oder einem Schädel Hirn Trauma.

Je nachdem, wie groß die Verletzung ist und in welchem Gehirnbereich die Verletzung stattgefunden hat, zieht dies unterschiedliche Ausprägungen sensomotorischer Störungen nach sich.

Da wir durch Forschungsergebnisse wissen, dass das Gehirn in der Lage ist, sich anzupassen, bedienen wir uns dieser Erkenntnis aus der Wissenschaft in der Physiotherapie. Das Gehirn wird sich also nach einer solchen „Verletzung“ anpassen. Es wird sich aber auch anpassen, wenn wir die/den Patien*in behandeln. Man spricht hier vom läsionsinduzierten Anpassungsvermögen und vom trainingsinduzierten Anpassungsvermögen.

Beide Mechanismen greifen ineinander. Da Versuche an Tieren zeigten, dass das Gehirn bis vier Wochen nach einem Schlaganfall am anpassungsfähigsten war (Zeiler & Krakauer 2013), ist es von größter Wichtigkeit, sofort mit der Therapie zu beginnen!

Jeder von Ihnen hat sicherlich mal einen Menschen mit einer Halbseitenlähmung gesehen. Zum einen kann es diesem Menschen schwerfallen, seinen Arm im Alltag zu nutzen, vielleicht hat er auch Beschwerden beim Gehen. Das schränkt den Alltag und somit auch die Aktivitäten des täglichen Lebens ein.

Wir wissen, dass Hirnareale, die häufig genutzt werden, stärker ausgebildet sind. Umgekehrt verkümmern Gebiete des Gehirns, wenn sie nicht genutzt werden. Salopp ausgedrückt. Aber verschiedene Gehirnareale arbeiten auch zusammen und können sich gegenseitig befeuern . Also Zellen, die sich gegenseitig befeuern, verbinden sich auch miteinander („Cells that fire together, wire together“). Dieses Wissen und das Wissen um neuromotorische Zusammenhänge machen wir uns in der Physiotherapie zu Nutze.

Es ist also möglich, das Gehirn so zu programmieren, dass unser/e Patient*in wieder in der Lage ist, bspw. die Funktionen des Arms, Hand und der Finger, sowie das Gangbild zu verbessern. Das bedeutet für unsere/n Patient*in allerdings auch, dass sie/er mitarbeiten muss.

Aber wie genau gestaltet sich die Therapie?

Stellen Sie sich nun vor, Sie sehen diesen Menschen. Der Mensch sitzt am Tisch neben Ihnen im Restaurant und Sie bemerken, dass es ihm schwer fällt, mit Messer und Gabel zu essen. Was würden Sie verbessern wollen? Genau. Die Funktion der gelähmten Hand. Aber, was, wenn dem Menschen das gar nicht so wichtig ist, dass er wie vorher mit Messer und Gabel umgehen kann? Vielleicht ist es ihm aber viel wichtiger, wieder den ausgedehnten Sonntagsspaziergang mit der Familie zu schaffen.

Genau das gilt es, mit in die Therapie einzubeziehen. Die/der Physiotherapeut*in ist natürlich gewillt, alle Funktionen so gut wie möglich wiederherzustellen.

Natürlich muss man vernünftig gewichten, wenn man einen Therapieplan erstellt. Allerdings richtet sich der Grad der Behinderung eben auch danach, was Patient*innen als einschränkend empfinden und deswegen werden die Wünsche und Ziele der Patient*innen immer mit oberster Priorität in meine Therapieplanung einbezogen.

Therapie

Ich erfasse zunächst nach standardisierten Tests die Folgen und die Symptome der Erkrankung. Wichtig ist auch, dass ich den Verlauf dokumentiere, um so das Erreichen der Therapieziele zu sichern. Ich erstelle also einen Befund.

Patient*innen, die zu mir in die Praxis kommen, werden öfter den Satz hören: „Laufen lernt man beim Laufen“. Früher hat man Bewegungen „angebahnt“. Man legte Patient*innen auf die Behandlungsbank und führte anbahnende Übungen durch. Man nahm an, dass man durch einen gezielt gesetzten Reiz, eine Bewegung hervorrufen kann.

Heute wird die Bewegung selbst immer und immer wieder geübt und das im Hinblick auf Alltagsbewegungen. Unter anderem arbeite ich mit Hilfe von Spiegeln, in denen die Patient*innen die Bewegung beobachten und somit nach mehrmaligem Wiederholen abspeichern können (s.a. Graded motor imagery). Es werden zunächst isolierte Bewegungen, wie zum Beispiel das Greifen geübt. Der reine Bewegungsablauf also. Dann gehen wir zügig steigernd in Bewegungen des täglichen Lebens über (z.B. aus der Kaffeetasse trinken).

Es bringt also nicht viel, dass sie den Daumen zum Zeigefinger, zum Mittelfinger, Ringfinger oder kleinen Finger bewegen können. Wichtig ist, dass Sie wieder die Schuhe zubinden können. Es bringt auch nichts, wenn wir als Therapeut*innen den Patient*innen ständig die Hand führen. Die Patient*innen müssen die Bewegungen so gut wie möglich selbst aktiv durchführen. Nur so kann ein motorischer Lernprozess stattfinden. Also sagen Sie Ihren Therapeut*innen nicht, dass sie Sie gerne quälen 😉 ( Ja, das wird uns hin und wieder nachgesagt).

Die Therapeut*innen verstehen nur, wie das Gehirn funktioniert und möchten Sie dazu bringen, dass Sie bald selbst wieder besser im Alltag klar kommen. Natürlich ist es wichtig, dass Sie als Patient*in Feedback geben und Sie dürfen sicher sein, dass ich Ihnen alle Pausen gönne, um sich zu erholen.

Auf der Basis Ihres individuellen Befundergebnisses behandele ich die eingeschränkten Bewegungsabläufe. Meine Therapie beinhaltet immer die Verbesserung der Aktivität auf der Funktionsebene (also den Bewegungsablauf an sich), aber auch auf der Ebene der sozialen Teilhabe am Leben. Was bringt es Ihnen also, wenn Sie perfekt den rechten Fuß zum Schienbein hochziehen können, wenn Sie aber im Wald über kleine Äste stolpern, oder sich nicht trauen, auf eines Ihrer geliebten Konzerte zu gehen, weil Sie Angst haben, angerempelt zu werden und hinzufallen?

Zum Abschluss ein Patientenbeispiel aus meiner Praxis

Ein Patient mit der Diagnose Multiple Sklerose und Schlaganfall lag wegen Untersuchungen über zwei Wochen stationär im Krankenhaus. Und wenn ich hier schreibe „lag“, dann meinen ich das genau so. Der Patient wurde nicht mobilisiert. Als er nach dem Krankenhausaufenthalt nach Hause kam, konnte er nicht mehr aus dem Rollstuhl aufstehen. Vor dem Krankenhausaufenthalt konnten wir mit der Therapie erreichen, dass er mit dem Rollator eine komplette Runde durch die gesamte Wohnung zurücklegen konnte.

Was war passiert?

Der Patient lag zwei Wochen im Bett und wurde nicht mobilisiert. Sprich: Keiner ist mit ihm aufgestanden, geschweige denn mit ihm gelaufen. Als er dann nach Hause kam, war diese Bewegung nicht mehr in seinem Gehirn präsent.

Was haben wir in der Therapie gemacht?

Wir haben zunächst die Muskulatur, die zum Aufstehen und Gehen notwendig ist wieder aufgebaut. Danach haben wir das Aufstehen „geübt“. Erstmal nur aus dem Rollstuhl aufstehen. Das gestaltete sich als schwierig. Der reine Bewegungsablauf, ohne diesen mit einer alltäglichen Situation zu verbinden, machte also für meinen Patienten nicht viel Sinn. Da der Patient eine ambitionierte Leseratte ist und am liebsten Bücher sortiert, haben wir vor dem großen Regal das Aufstehen geübt. Mit der Aufforderung, doch bitte dieses und jenes Buch aus dem Regal zu holen, fiel es dem Patienten deutlich leichter, die Bewegung abzurufen.

Nach mehrmaligem Üben gelang es dann auch wieder, dass der Patient ohne diesen Vorwand aus dem Rollstuhl aufstehen konnte und heute wieder mit dem Rollator in seiner Wohnung mobil sein kann. Ein sehr gutes Beispiel dafür, wie man Gehirnareale, die zusammen feuern, aktivieren kann, um sich so zu verbinden, dass komplexe Bewegungsabfolgen wie hier das Aufstehen wieder funktionieren.

Text: Christina Sattler

Schmerzen, Angst & Panikattacken

Wie kann das zusammenhängen?

„Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr“ (Marie Curie)

Du kennst es vielleicht auch. Du sitzt bei einer Tasse Tee oder Kaffee und plötzlich kommt ein sehr beklemmendes Gefühl über Dich. Wie aus dem Nichts fühlst Du Dich auf einmal seltsam, Dein Herz beginnt zu rasen, Deine Hände fangen vielleicht an zu schwitzen, Du hast das Gefühl in Dir wird es ganz heiß, Du hast das Gefühl, dass jeden Moment etwas Schlimmes passiert, ein Herzinfarkt, ein Zusammenbruch, ein Schlaganfall. Vielleicht hast Du auch das Gefühl, dass Du Dich von Dir selbst distanzierst, Dich in Deiner Umgebung irgendwie falsch fühlst, es kribbelt in Deinem Körper, Dein Hals schnürt sich zu, Du fühlst Dich mit einem Mal ganz seltsam und bekommst Angst. Dieses Gefühl ist ziemlich mächtig. Die Spirale beginnt. Du hörst noch mehr in Dich rein, nimmst jedes einzelne Zeichen Deines Körpers wahr, und das Horrorszenario beginnt in Deinem Kopf. Du hast all diese Symptome wirklich und Du denkst, dass Dein Körper in jedem Moment komplett versagt. Man nennt das Hypervigilanz. Es ist eine übersteigerte nicht mehr physiologische oder „gesunde“ Aufmerksamkeit.

Menschen, die bereits eine Panikattacke erlebt haben, beschreiben es so, oder so ähnlich. Meist kommen diese Attacken in Ruhephasen, am Wochenende oder im Urlaub und hinterlassen die Person, die das gerade erlebt noch verunsicherter, denn rational betrachtet, gibt es in solchen Momenten gar keinen Anlass für solche Entgleisungen.

Was hat das alles mit chronischen Schmerzen zu tun?

Beim chronischen Schmerz ist Dein Körperwarnsystem extrem sensibel. Also auch extrem aufmerksam. Das Körperwarnsystem besteht aus Nervenfasern, die auf chemische, mechanische und thermische Reize reagieren. Einen weiteren Part in diesem System übernimmt Dein Rückenmark und Dein Gehirn. Bei chronischen Schmerzen ist dieses System sagen wir „Hyperaktiv“ oder „Hypersensibel“. Und weil das so ist, befeuern auch andere Nervenbahnen irgendwann Dein Körperwarnsystem. So kann es passieren, dass schon kleinste Berührungen zu Schmerzen führen. Deine Nerven nehmen sämtliche Informationen aus Deinem Körper auf, egal welche und Dein Gehirn formiert aus all diesen Informationen ein Resultat und das heißt „Gefahr“. Dein Gehirn will Dich schützen und daher wird es immer besser darin, auch die kleinsten Informationen aus Deinem Körper wahrzunehmen. Im schlimmsten Falle reichen schon einfache Gedanken aus, um Dein Alarmsystem zu aktivieren.

Bei Angst und Panikattacken ist es ähnlich. Auch Panikattacken sind nur eine Antwort Deines Körperwarnsystems. Auch wenn Du alle Symptome, wie Herzrasen, erhöhten Blutdruck, Wärme-Kälte-Gefühl im Wechsel, Kribbeln in den Händen, Füßen oder im Gesicht, das Gefühl von Ohnmacht, etc., real wahrnimmst, so ist das alles nur eine Antwort Deines Körperwarnsystems auf gewisse Reize, die aus Deinem Körper als Informationen in Deinem Gehirn ankommen. Das Problem dabei ist, dass es Betroffenen während einer Panikattacke nicht bewusst ist, dass es „nur“ eine Panikattacke und kein lebensbedrohliches Ereignis ist. Gar nicht selten rufen Betroffene dann den Notarzt, oder lassen sich in ein Krankenhaus bringen, nur um dort festzustellen, dass die Symptome vielleicht genauso , wie sie gekommen sind, plötzlich weg sind, oder spätestens dann, wenn man nach eingehenden Untersuchungen gesagt bekommt, dass körperlich alles okay ist. Dennoch sind die Symptome real und man hat ja gespürt, dass etwas nicht stimmt. Also lässt man es vielleicht noch weiter von anderen Ärzt*innen abklären. Nichts wird gefunden und so steht man alleine da und verliert vielleicht sogar das Vertrauen in die Medizin. ( Versteh das nicht falsch: Bitte kontaktiere zu jedem Zeitpunkt den Notruf, wenn Du das Gefühl hast, es könnte etwas Lebensbedrohliches sein!)

Das stellt für Betroffene eine immens große Belastung dar. Nicht selten entwickeln sich dadurch depressive Verstimmungen oder Depressionen, die bis hin zu kompletter sozialer Isolation reichen. Hier ist es hilfreich, sich psychologisch beraten und behandeln zu lassen. (Direkte Hilfe gibt es unter: www.krisenchat.de)

Panikattacken sind behandelbar, ebenso wie chronische Schmerzen. Man muss nur verstehen, wie es dazu kommen kann.

Viele denken, dass man immer wieder Panikattacken bekommt, wenn man sie einmal hatte. Ebenso denken viele, dass chronische Schmerzen nicht behandelbar sind. In beiden Fällen kann ich sagen, dass das nicht stimmt.

Ich selbst stand an dem Punkt, dass Panikattacken mein Leben und meinen Alltag für eine lange Zeit beherrschten. Mittlerweile ist das nicht mehr so, und ich kann sagen, dass ich meine Panikattacken losgeworden bin. Ebenso habe ich in meiner Berufslaufbahn viele Menschen auf ihrem Weg aus den chronischen Schmerzen heraus begleiten dürfen. Und auch für Dich gibt es sicher Wege. Wichtig ist, dass Du weißt, wie Dein Körper funktioniert, was Dein Alarmsystem getriggert hat, oder immer wieder triggert und wie Du für Dich realistische Wege gehen kannst, um Dein Alarmsystem wieder auf Normalbetrieb zu programmieren.

Dir muss bewusst werden, dass Angst und Panik lediglich eine biochemische Reaktion Deines Körpers ist, die durch unterschiedliche Faktoren ausgelöst werden kann. Ein psychologisches Gespräch kann Dir dabei helfen.

Schmerzen, Angst und Panikattacken befeuern sich gegenseitig. So kann eine Panikattacke dazu führen, dass Du das Vertrauen in Deinen Körper verlierst. Vielleicht hast Du während einer Panikattacke das Gefühl gehabt, dass Dein Rücken extrem schmerzte. Dein Körperwarnsystem, das auch eng mit Deinen eigenen Gedanken über solche Situationen zusammenarbeitet, entscheidet, dass Dein Rücken geschützt werden muss. Du beginnst also Bewegungen zu vermeiden, Du möchtest vermeiden, dass dieser Schmerz nochmal auftritt, also verhältst Du Dich plötzlich anders als üblich. Der Kreislauf beginnt und irgendwann greift ein Rädchen ins nächste. Genauso kann es aber auch andersrum sein. Du hattest vielleicht eine Verletzung oder ein traumatisches Erlebnis. Dein Alarmsystem entscheidet, Dich zu schützen und sendet Dir weiterhin Schmerzen, obwohl dies nach der Heilungsphase gar nicht mehr nötig ist. Dein Schmerz hat sich aber verselbständigt und Du tust auch hier alles dafür, dass der Schmerz nicht wieder kommt. Kommt er doch, und das tut er in dem Falle einer übersteigerten Wachsamkeit, macht es Dir Angst.

Alle die Abläufe, die ich Dir jetzt genannt hab, kann man mit der Überschrift „Stress“ zusammenfassen. Stress ist nicht immer nur das, was man offensichtlich benennen kann. Stress passiert auf biochemischer Weise in Deinem Körper und die Auslöser hierfür können von Mensch zu Mensch komplett verschieden sein.

Solltest Du unter Angst und Panikstörungen leiden, begib Dich bitte in die Hände guter Therapeut*innen, mach da nichts mit Dir selbst aus. Es ist definitiv behandel- und heilbar!

Ein persönlicher Tipp von mir zum Thema Panikstörungen, der mir sehr gut geholfen hat:

www.panikattacken-loswerden.de

Chronischer Schmerz- Alles in Deinem Sinne

Im Beitrag „Die Sensorensuppe“ hast Du bereits einiges über die Entstehung von Schmerzen erfahren. Zusammengefasst, weißt Du jetzt, dass Dein Gehirn als Schaltzentrale fungiert und Schmerzen die Antwort deines Warnsystems sind.

Außerdem weißt Du, dass die Intensität des Schmerzes NICHT unbedingt mit der Größe der Gewebeverletzung zu tun hat.

Du hast erfahren, dass es Neuronen gibt, die für die Weiterleitung von Reizen oder Erregung zuständig sind, und dass das Ende der Neuronen „Synapsen“ heißt. An diesen Enden sitzen Sensoren und die möchte ich noch ein wenig genauer mit Dir betrachten. Es ist nämlich wichtig, dass Du weißt, dass Du diese Sensoren beeinflussen kannst und somit einiges selbst dazu beitragen kannst, Deine chronischen Schmerzen zu verbessern.

Anpassung

Ich habe Dir von der Sensorensuppe erzählt. Das heißt, dass Dein Nervensystem extrem anpassungsfähig ist und innerhalb von Sekunden die Sensorensuppe so zusammensetzen kann, dass je nach Gefahrensignal, dementsprechende Sensoren sensibler bzw. durchlässiger werden für erregende Botenstoffe. Kurzfristig sind Deine Neuronen somit sensibler für erregende Chemikalien [1,2]. Es kann also passieren, dass ein Reiz einen Schmerz auslöst, der vorher schon sehr weh tat, aber jetzt noch mehr schmerzt. Das funktioniert aber auch andersrum: Reize, die vorher keinen Schmerz ausgelöst haben, lösen dann Schmerzen aus. Das ist von Vorteil, wenn beispielsweise eine ständige Überbelastung dazu führen würde, Gewebe auf Dauer zu schädigen.

In solch einer Situation öffnen sich die Sensoren und lassen diesen Reiz und die Informationen in die Gefahr meldenden Neuronen hindurch. Neuronen sind die Bahnen, die dafür zuständig sind, Erregungszustände weiter zu leiten. Die Neuronen wiederum fahren ihre eigene Produktion an Sensoren hoch, die die gefahrmeldenden Informationen durchlassen. Noch dazu bilden sie „Back up“- Sensoren, die zunächst keinen Auftrag haben, aber es ist gut, sie zu haben, wenn sie gebraucht werden[3]. All das passiert schon auf Rückenmarksebene und noch nicht im Gehirn. Im Gehirn kommen die Reize erst an, wenn sie groß genug sind , also ein hohes Potential haben. Großartig also, dass wir so einen gut funktionierenden Körper haben.

Ist ja nur gut gemeint

Die Reize aus den Geweben führen dazu, dass sich sehr viele dieser Chemikalien, die die Sensibilität der Neurone erhöhen, an Deinen Synapsen ansammeln. Ebenso passiert es, dass Neurone, die zum Gehirn weiterführen weiter aussprießen. Vielleicht sind das nicht mal Gefahrenmelder- Neuronen, aber sie kommen in die Nähe derer[4]. Das bedeutet, dass auch die Chemikalien der „harmlosen“ Neurone, die Gefahrenmelder- Neurone erreichen.

Ein Beispiel hierzu:

Du hast Zahnschmerzen. Warum? Naja, Du hast vielleicht nicht gründlich geputzt und Dein Zahn ist kariös. Ein leichter Schmerz macht sich bemerkbar. An Deinen gefahrenmeldenden Neuronen kommt die Information an, dass da ein Problem vorliegt. Und weil Dein Körper Dich schützen möchte, öffnen sich jetzt sämtliche Sensoren, die dazu da sind, sämtliche Meldungen in die Neurone zu schleusen, die wichtig sind, um den Untergang deines Zahnes, des Zahnfleisches und im schlimmsten Fall des Zahnnervens zu verhindern. Ganz einfach ausgedrückt: Du wirst sensibel.

Und je länger du nicht dafür sorgst, deinen Zahn zu retten, desto schlimmer wird der Schmerz und sogar leichte Berührungen an der Wange werden schmerzhaft. Wieso? Vielleicht kannst Du die Frage jetzt schon selbst beantworten, warum eine Berührung wohl in diesem Kontext schmerzhaft sein kann. Berührungen sind doch eigentlich was angenehmes, oder?

Es ist so, dass die Neuronen, die die Information über eine Berührung ans Gehirn weiterleiten eben in die Nähe der Gefahrenmelde- Neuronen gewachsen sind und deshalb ein Schmerz durch Berührung entstehen kann. Ist super unangenehm, aber erinnere dich in diesen Situationen daran, dass Dein Körper und Gehirn Dich nur schützen wollen.

Zusammen mit dem Schmerz nicht gegen den Schmerz

Wahrscheinlich wartest Du schon die ganze Zeit drauf, wann endlich der Teil kommt, wie Du Deine Sensoren beeinflussen kannst.

Es gibt auch hier kein Kochrezept. Schmerzen sind individuell verschieden und auch die Faktoren, die zu Schmerz führen, sind total unterschiedlich. So gibt es zum Beispiel Menschen, die massive Veränderungen an ihrer Wirbelsäule haben und kaum Schmerzen empfinden (Ja, die gibt es, ich kenne einige) und dann gibt es Menschen, die offensichtlich keine degenerativen Veränderungen haben, dennoch aber unter unerträglich starken Schmerzen leiden. Diese Schmerzen nennt man „chronisch unspezifische Schmerzen“, dazu gehört u.a. auch die Diagnose „Fibromyalgie“, ein Schmerzsyndrom. Studien der Schmerzforschung zufolge besagen, dass z.B. die Stärke von Lendenwirbelsäulenbeschwerden äußerst selten mit dem Ausmaß krankhafter Veränderungen an der Bandscheibe oder den Nerven zu tun hat [5]. Die zwei am meisten vorkommenden Schmerzen sind übrigens Schmerzen im unteren Rückenbereich und Kopfschmerzen.

Unzählig viele Faktoren tragen also dazu bei, OB wir Schmerzen empfinden und WIE wir Schmerzen empfinden.

Alles in Deinem Körper passt sich an, um Dich zu schützen

Gedanken sind auch nur Nervenimpulse

Du solltest öfter hinterfragen, was Du über Deinen Schmerz denkst. Denn auch Gedanken oder Überzeugungen schaffen Nervenimpulse. Vielleicht bist du jemand, der ganz cool mit Schmerzen umgeht und nicht gleich ans schlimmste denkt, oder aber Du bist jemand, der katastrophisiert. „Oh Gott! Was ist da los? Es MUSS was Schlimmes sein!“ Dann gibts ein Feuerwerk an Deinen Gefahrenmelder- Neuronen und den Synapsen. Solltest Du also der Meinung sein, dass diese oder jene Bewegung nicht gut für Dich ist, und dass es deswegen besser ist, sie nicht zu tun. Dann halte kurz inne und frage Dich, ob das denn wirklich so ist. Bist Du Dir zu hundert Prozent sicher, dass es die Bewegung ist?

Vielleicht kennst du Kopfschmerzen. Wie oft hast Du Dich schon mit der Überzeugung „Ich kann den Kopf jetzt nicht drehen, ich kann GAR NICHTS machen“ auf die Couch verzogen und nichts mehr getan, bis der Spuk vorbei war? Ich kenne es auch. Mich plagten seit meiner frühen Jugend extreme Kopfschmerzen bis hin zur Migräne. Mittlerweile habe ich zwar immer mal wieder Kopfschmerzen, aber ich weiß, dass es nicht viel bringt, sich tot zu stellen und abzuwarten. Ist im Übrigen generell keine gute Idee. Egal bei welcher Form von Schmerz.

Komm Deinem Schmerz auf die Schliche, arbeite mit ihm und erlerne neue Gewohnheiten, um damit umzugehen. So signalisierst Du Deinem Gehirn, dass es nicht notwendig ist, Dich zu schützen und als Antwort Schmerzen zu senden. Ich hab meine Trigger kennengelernt und kann versichern, dass es besser wird, wenn man denn daran arbeitet. Im Übrigen noch eine Bitte: Lass Dir bitte, bitte nicht von Geschichten Deiner Bekannten erzählen, die „das auch schonmal hatten“. Es ist überhaupt davon abzuraten, sich irgendwelche Schmerzstories von anderen anzuhören. Wenn Du zu den Personen gehörst, die sowas aufsaugen, dann bist Du die oder der erste, der sich daran erinnern wird, wenn Du ähnliche Symptome hast. Versprochen! Du bist Du und Die sind die Anderen. Auch sowas kommt leider nicht selten vor in der Praxis. Vertrau Deinem Körper, der zeigt Dir schon die Richtung. Und ja, ich weiß, man hat leicht Reden, wenn man diese Schmerzen nicht hat. Und Du regst Dich auf, dass da schon wieder jemand um die Ecke kommt mit „Arbeite mit deinem Schmerz“. Aber, wenn Du wirklich dauerhaft was ändern möchtest und bis hierhin alles verstanden hast, dann kannst du einiges bewegen. Es ist wichtig, dass Du weißt, dass Du für Dich, allein oder mit Hilfe von Spezialist*innen, Gewohnheiten aus Dir heraus entwickeln kannst.

Keine Kochrezepte, keine Nackenkissen, keine Rückengurte, keine Wunderprodukte, keine Zuckerkügelchen. Gewohnheiten, die für Dich realistisch und umsetzbar sind und Dich Deinem Ziel zur Schmerzfreiheit näher bringen. Du weißt, Dein Gehirn will Dich schützen, alles passiert in Deinem Sinne. Wieso sollte es auch was Böses wollen? (Das ist kein Esogerede, die wissenschaftlichen Nachweise findest Du am Ende dieses Beitrags)

Ganz schön sensibel

Manchmal kommen Patienten mit Schmerzen zu mir, die mir von Verletzungen erzählen, die schon einige Zeit zurückliegen. Da Gewebe heilt, kann man davon ausgehen, dass das Gewebe nicht mehr daran Schuld ist, dass Schmerzen entstehen. Der Schmerz entsteht viel mehr deshalb, weil das Gehirn immer noch auf „Schützen“ gepolt ist.

Vielleicht geht es Dir auch so. Letztes Jahr bist Du vielleicht gestürzt und hast Dir Deine Schulter verletzt. Aber irgendwie hast Du immer noch Schmerzen und zusätzlich dazu gesellen sich zu allem Übel auch noch Rückenschmerzen. Was viel hilfreicher ist, als sich in die Opferrolle zu begeben, ist es, Dich selbst ein wenig zu analysieren.

Stelle Dir die Fragen:

  • Was alles kann bei mir dazu beitragen haben, dass sich meine Sensoren so verändert haben, dass ich immer noch Schmerzen hab?
  • Warum denkt mein Gehirn, dass es mich immer noch schützen muss?

Natürlich kann es sein, dass ein Knochen nicht so geheilt ist, wie er sollte. In den meisten Fällen heilt er aber so, wie er sollte. Sollte Dir bekannt sein, dass Dein Knochen nicht so geheilt ist, wie er sollte, dann werde bitte bei einer/einem Ärztin/Arzt vorstellig und lass es weiter abklären. Aber selbst das muss NICHT der Grund für Deine Schmerzen sein.

In allen anderen Fällen frage Dich oben gestellte Fragen.

Ich werde Dir hier jetzt keine Tipps geben, aber einige Faktoren nennen, die zu chronischen Schmerzen führen können. Punkte, die ich bei meinen Patienten und Klienten u.a. beleuchte.

Faktoren, die Deine Sensoren verändern können, können sein:

  • Schlafmangel
  • Stress
  • Kummer
  • Medikamente
  • unausgewogene Ernährung
  • zu wenig Bewegung
  • zu viel Bewegung und zu wenig Ruhepausen
  • negative Glaubenssätze
  • Hormondysbalancen
  • Vorerkrankungen
  • familiäre Probleme
  • Probleme im Job
  • das Immunsystem
  • Umweltreize
  • mangelnde Kenntnisse über Schmerzentstehung
  • Artikel in Zeitschriften!
  • Falschaussagen selbsternannter Spezialisten (das pflanzt sich leider sehr tief ins Hirn)
  • Krankheitsgeschichten von Bekannten, Verwandten und Freunden
  • Schmerzforen Betroffener (da tummeln sich haufenweise Horrorgeschichten)
  • etc.

Du siehst, die Liste ist lange und ich könnte noch unzählige Gründe aufführen, die zu Schmerzen führen. Ich möchte, dass du eine weitere wichtige Sache weißt:

Deine Schmerzen werden Dir keinen Schaden zufügen

Versuche, Dich zu ergründen, gehe kleine Schritte, stress Dich nicht mit der Ergründung (das wäre fatal), bleib geduldig mit Dir und Deinem Körper.

Mit meinen Beiträgen möchte ich Dir das Thema „Schmerzen“ näher bringen. Wenn Du Lust hast, mehr über Schmerzen und Schmerzentstehung zu erfahren, dann lade ich Dich herzlich zu meinen Schmerzworkshops ein, die (sobald Corona das wieder erlaubt) in regelmäßigen Abständen stattfinden. Desweiteren kann ich Dir das Buch „Schmerzen verstehen“ von David Butler und Lorimer Moseley sehr empfehlen.

[1] Yamanka,H., Noguchi, K. (2012) Pathophysiology of neurotic pain: molecular mechanismus underlying central sensitization in the dorsal horn in neuropathic pain. Brain and Nerve 64: 1255-1265

[2] Latremoliere, A., Woolf, C.J. (2009) Central sensitization: a generator of pain hypersensitivity by central neural plasticity. J.Pain:10:895-926

[3] McMahon, S.E. et al (eds) (2005) Wall and Melzack´s Textbook of Pain. 5th Edn.. Elsevier: Edinburgh

[4] Doubell, T.P. et al. (1999) The dorsal horn: state dependent sensory processing, plasticity and the generation of pain, in Textbook of Pain, Wall, P.D., Melzack, R. Eds Churchill Livingstone: Edinburg

[5] Jensen, M. (1994) Magnetic resonance imaging od the lumbar spine in people without low back pain. New Eng J Med 331:69-73

Literatur: „Schmerzen verstehen“ David Butler, Lorimer Moseley, 3. Auflage, Springer Verlag

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