Eines vorweg: Wenn ich Dir in den kommenden Beiträgen von Auslösern chronischer Schmerzen berichte, möchte ich, dass Du weißt, dass die Auslöser und Gründe für Schmerzen so unterschiedlich sein können, wie jeder Mensch. Ich möchte Dich hier über die Entstehung von Schmerzen aufklären und Dir einige Ansatzpunkte zeigen, wie Du Deinem persönlichen Schmerz auf die Schliche kommen kannst. Wichtig dabei ist mir, dass Du verstehst, wie es zu Schmerzen kommt, denn das ist in meinen Augen super wichtig für einen erfolgreichen Weg in die Schmerzfreiheit.

Es geht um Dich und ich wünsche mir, dass Du aufgeklärt bist, um selbst aktiv werden zu können und nicht mehr abhängig bist von den Aussagen unzähliger „Spezialisten“. Also, es geht hier nicht um „Kochrezepte“ à la „Wenn ich die Übung mache, dann ist das gut für meinen Rücken.“ oder noch schlimmer: „Wenn ich mir dieses Kissen kaufe, dann bekomm ich meine Nackenschmerzen in den Griff.“ Das Netz ist voll mit diesen Heilversprechen und ich möchte nicht, dass Du unnötiges Geld für Quatschprodukte ausgibst und schon gar nicht möchte ich, dass Du Dir mit falschen Glaubenssätzen Dein Gehirn vergiftest. Dafür gibts leider genügend Negativbeispiele im Netz.

Alles, was Du hier von mir bekommst, ist wissenschaftlich nach den neuesten Erkenntnissen der Hirn- und Schmerzforschung belegt.

Ich könnte Dir hier jetzt Kochrezepte anbieten, weil man ja gerne schnell den Schmerz weghaben möchte. Verstehe ich vollkommen, aber um langfristig in die Schmerzfreiheit zu kommen und auch dort zu bleiben, muss man ein wenig Mut haben und auch bereit sein, sich mit wissenschaftlichen Fakten und Hintergründen auseinander zu setzen. Möchtest Du es selbst in der Hand haben und Deinen Schmerz verstehen? Dann wird der Weg nicht daran vorbeiführen, zu erfahren, wie Dein Körper und Dein Gehirn funktionieren. Wenn Du lieber schnelle Ergebnisse haben willst, dann findest Du sicherlich sehr viele Videos im Internet, die Dir Übungen zeigen oder Du findest Anbieter von speziellen Nackenkissen oder Rückengurten, die Dich in eine aufrechte Haltung bringen.

Mein Weg ist das nicht und wenn es auch nicht Deiner ist, dann freue ich mich, wenn Du ab hier weiter liest. Eins ist mir noch wichtig, was Deine Schmerzen betrifft:

Deine Schmerzen sind real und nicht eingebildet!

Und das auch, wenn Dir jemand anderes oder Du Dir das vielleicht auch selbst einredest. Kennst Du diese Aussage in Bezug auf Schmerzen von Dir: „Langsam glaube ich selbst, dass ich nicht mehr richtig ticke.“ Sei Dir sicher, Du tickst völlig normal! Alles, was uns unbekannt ist, macht uns zunächst einmal Angst. Das haben wir von unseren Vorfahren aus der Steinzeit geerbt. Daher lass mich Dir zunächst einmal erklären, wie es überhaupt zu Schmerzen kommt.

Schmerzentstehung

Unser Körper ist ein Wunderwerk und unser Gehirn ist den ganzen Tag damit beschäftigt, Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten, es arbeitet unentwegt. Und das tut es nur, um Dich zu schützen und Deinen Körper am Laufen zu halten. Ziemlich nett von unserem Gehirn.

Schmerzen, wenn man sich den Ellenbogen anschlägt, kennt jeder. Diese Schmerzen verschwinden meist auch ganz schnell wieder. Was aber, wenn Schmerzen nicht mehr weggehen? Dann nennt man diese Schmerzen „chronische Schmerzen“ und darum wird es in meinen folgenden Beiträgen gehen.

Aber erstmal zurück zum Ellenbogen. Wir empfinden Schmerzen, wenn wir uns den Ellenbogen stoßen, weil das Gehirn die Meldung bekommt, dass da grade etwas passiert ist, was nicht gut für uns sein könnte. Das Gehirn reagiert auf diesen Reiz und weil es gewillt ist, uns permanent zu schützen, wandelt es diese Information um und dann laufen Prozesse im Körper ab, die dafür sorgen, dass wir das nicht nochmal machen. Wir spüren einen Schmerz. Wir ziehen aber auch zum Beispiel den Arm ganz schnell weg, streichen uns über diese Stelle, je nach Erregungszustand schreien wir vielleicht auch laut auf, Tränen laufen uns übers Gesicht, weil das Gehirn möchte, dass wir ganz schnell wieder den Stress abbauen. All das macht Dein wunderbares Gehirn, nur um Dich zu schützen.

Du siehst also, dass Schmerzen so etwas sind, wie ein Schutzmechanismus, wie der Bordcomputer in Deinem Auto. Also völlig normal! Du hast jetzt den ersten Schritt getan, Deine chronischen Schmerzen zu enttarnen. Um weiter zu gehen, musst Du wissen, wie Dein Schmerz entstanden ist.

Schmerzentstehung verstehen

Wenn Du verstanden hast, wie Schmerz entsteht und warum Dein Schmerz nicht mehr weggehen will, dann wirst Du am Ende meiner Schmerzreihe sagen: „Ist ja völlig normal, dass ich so lange diese Schmerzen hatte.“

Dein körpereigenes Schutzsystem ist so ausgeklügelt, dass es sich permanent an Dich anpasst. Es will Dich ja schützen.

Ein Beispiel: Sicherlich kennst Du Geschichten von Menschen, die sich so schwer verletzt haben, aber zum Zeitpunkt der Verletzung keinerlei Schmerzen gespürt haben. Kriegsveteranen zum Beispiel, die einen Körperteil im Krieg verloren haben, erzählen, dass sie kaum einen Schmerz gespürt haben. Ihre Schutzzentrale hat alles dafür getan, dass sie überleben und an einen sicheren Ort zurückkehren können, wo sie dann weiterversorgt werden können.

Das Beispiel zeigt Dir aber auch, dass die Intensität des Schmerzes, den Du empfindest, nicht unbedingt mit der Größe der Gewebeverletzung zusammenhängt. Denk das nächste Mal, wenn Du Dir den Ellenbogen gestoßen hast an den Veteranen, der sein Bein verloren hat und trotzdem zurück zu seiner Basis gekehrt ist. Was ich sagen möchte ist, dass Du bitte davon wegkommen sollst, zu denken, dass die Intensität Deines Schmerzes unbedingt auch mit der Schwere Deiner Gewebeverletzung zu tun hat. Deine Rückenschmerzen sind nicht unbedingt so stark, weil da eine riesige Verletzung vorliegt.

Die Stärke Deiner Schmerzen sagt nichts über die Größe Deiner Gewebeverletzung aus

„Wie kann es dann aber sein, dass ich seit Monaten oder Jahren solche Schmerzen hab?“, wirst Du jetzt wahrscheinlich fragen, „bilde ich mir das alles nur ein? Da muss doch richtig was kaputt sein, sonst würde es doch nicht so weh tun!“ Und wieder kann ich Dir sagen, dass es höchstwahrscheinlich nicht so ist. Umgekehrt gefragt: Wie erklärst Du Dir, dass ein bösartiger Knochentumor zunächst überhaupt keine Schmerzen macht? Da versagt leider das Schutzsystem völlig, aber es zeigt Dir nochmal deutlich, dass die Intensität des Schmerzes nicht allein etwas über die Schwere einer Gewebeverletzung aussagt.

Das, was in Deinem Gewebe passiert ist nur ein Teil der Schmerzentstehungsgeschichte

Dein Gehirn als Schaltzentrale

Alles, was in Deinem Körper, im Gewebe und in den Nerven passiert, hat Auswirkungen auf Deinen gesamten Körper. Dein Gehirn filtert all diese Informationen, die bei ihm ankommen und entscheidet dann, ob Du Schmerzen haben sollst oder nicht.

Zu Deinem Alarmsystem gehört noch eine weitere wichtige Instanz. Dein Rückenmark. Stell Dir das Rückenmark so vor, dass es wie die Vorzimmerdame des Gehirns funktioniert. Alle Meldungen aus Deinen Geweben (Muskeln, Haut, Nerven, etc.) landen zunächst einmal beim Rückenmark und sprechen dort vor. Diese Informationen führen dazu, dass Chemikalien ausgeschüttet werden und durch diese Chemikalien können wiederum weitere Informationen und somit Reaktionen hervorgerufen werden. Entweder diese Informationen werden an Dein Gehirn weitergeleitet und das hängt von der Stärke der Reize ab, oder auf der Ebene Deines Rückenmarks wird entschieden, dass beispielsweise vielleicht nur eine Bewegung in Deinem Bein passiert. Ein Beispiel hierfür ist der Kniesehnenreflex, bei dem der Arzt dir mit einem Reflexhämmerchen auf die Kniesehne klopft. Es entsteht ein Reiz, der zuerst mal im Rückenmark ankommt. Weil der Reiz aber nicht so stark ist, dass er ans Gehirn weitergeleitet wird, resultiert nur eine Bewegung in Deinem Kniegelenk. Hättest Du jetzt aber Angst vor diesem Arzt und Angst vor dieser Untersuchung oder eine ausgeprägte Hämmerchenphobie, dann würde es wahrscheinlich dazu kommen, dass dieser Reiz in Deinem Gehirn ankommt. Dein Gehirn würde dann sämtliche Informationen verarbeiten und entscheiden, dass Du sogar einen Schmerz verspürst. Okay, das ist eine sehr skurrile Vorstellung, aber Du siehst, was alles dazu führen kann, dass Du Schmerzen empfindest.

Vielleicht hast Du selbst schon mal gesagt, dass Deine Synapsen durchgedreht sind. Im Prinzip ist es so. Informationen aus Deinem Gewebe sorgen für eine Aktion an Deinen Synapsen. Synapsen sind einfach ausgedrückt Verbindungstellen zwischen Nervenzellen und anderen Zellen (Sinneszelle, Muskelzelle, Drüsenzelle, Nervenzelle). Sie sind dafür da, dass Erregungen weitergeleitet werden. Sie sind der Endpunkt eines Neurons.

Sensoren- Die Reporter Deines Körpers

Neuronen sind Nervenzellen, die auf Erregungsleitungen und -übertragungen spezialisiert sind. Am Ende eines Neurons tummeln sich ziemlich viele kleine Botschafter oder Reporter, die alle möglichen Informationen in das Neuron einströmen lassen. Es gibt Reporter, die nur dafür da sind, Informationen über die Temperatur zu liefern, dann gibt es Reporter, die mechanische Reize aus Deinem Körper durchlassen (die sind sehr aktiv, wenn Du dir den Ellenbogen anschlägst), es gibt aber auch die Sorte Reporter, die auf chemische Reize spezialisiert ist. Letztere reagieren zum Beispiel auf Allergene, also Reize außerhalb des Körpers, aber auch auf chemische Reize innerhalb des Körpers, wie zum Beispiel Hormone. Du kennst sicher dieses Kinderspielzeug, bei dem man verschieden geformte Klötzchen nur in die dafür vorgesehenen Öffnung sortieren kann. So ähnlich kannst Du Dir das mit den Sensoren vorstellen.

Die meisten dieser Sensoren gibt es übrigens in unserem Gehirn und werden hauptsächlich von chemischen Informationen aktiviert.

Das faszinierende an diesen Sensoren ist die Tatsache, dass sie nur ein paar Tage leben und dann durch neue Sensoren ersetzt werden. Diese Information ist sehr wichtig für Dich, wenn Du unter chronischen Schmerzen leidest. Merk dir diese Info gut, denn sie besagt, dass das, was Du gerade an Schmerzen empfindest nicht in Stein gemeißelt ist.

Die Sensorensuppe

Üblicherweise ist das Verhältnis zwischen deinen chemischen, mechanischen und thermischen Sensoren ziemlich ausgeglichen.

Jetzt wirst Du Dich fragen, woher Dein Körper weiß, wieviel er von welchen Sensoren braucht.

Das ist ganz einfach anhand einer Suppe zu erklären. Manchmal ist Dir nach einer kräftigen Fleischbrühe und manchmal hast Du Lust auf eine leckere Gemüsecremesuppe. Auch das steuert übrigens Dein Gehirn, um Deinem Körper was Gutes zu tun, aber das ist ein anderes Thema.

Dein Gehirn entscheidet also, welche Art von Sensoren gerade wichtig ist, um Dich und Deinen Körper zu schützen und dementsprechend verändert sich die Produktion.

Ein Beispiel: Wenn Dein Gehirn der Meinung ist, dass es wichtig ist, Dich gerade vor Stress zu schützen, weil Du ein anerkannter Chirurg bist, der die Operation seines Lebens vor sich hat und eine ganz ruhige Hand braucht, dann wird Dein Gehirn entscheiden, die Sensoren, die verstärkt darauf achten, Deine Stressresistenz zu erhalten, verstärkt zu bilden.

Eine weitere gute Nachricht für Dich, wenn Du unter chronischen Schmerzen leidest, ist die Tatsache, dass auch die Schnelligkeit, in der diese Sensoren ausgebildet werden, beeinflusst werden kann. Denn die Produktion der Sensoren, die dafür zuständig sind, das bestimmte Reize erhöht werden, kann sich minimieren, wenn die Nachfrage nach diesen Sensoren sinkt.

Das kann sogar jetzt schon in Dir passieren, einfach nur, weil Du bereits jetzt schon einiges mehr über Schmerzentstehung weißt. Vielleicht hast Du jetzt schon eine Idee, wie Du dafür sorgen kannst, dass Du deine Sensoren umwandelst und Deinem Gehirn vermittelst, dass es Dich eigentlich gar nicht schützen muss. Schmerz ist immer nur ein Warnsignal, dass Dir einen Weg aufzeigen will. Klingt paradox, aber in meinem nächsten Beitrag wirst Du erfahren, wieso das so ist.

Ich werde Dir auch anhand einiger Beispiele erklären, wie Du selbst das Rezept für Deine Sensorensuppe abwandeln kannst, um den nächsten Schritt Richtung Schmerzfreiheit zu gehen. Ich freue mich, wenn Du mir Feedback gibst und ich freue mich auf ganz viele Fragen zu diesem Thema. Schreib mich gerne über meine Social Media Kanäle an. Über die Buttons oben rechts auf der Seite (für Handyansicht nach unten scrollen) kommst Du zu meinen Accounts auf facebook, instagram und twitter

Literatur: „Schmerzen verstehen“ David Butler, Lorimer Moseley, 3. Auflage, Springer Verlag