Privatpraxis für evidenzbasierte Physiotherapie in St. Wendel

Schlagwort: Apoplex

Kommunikation und die Bedeutung für die Behandlung in der neurologischen Physiotherapie bei Menschen mit Sprachstörungen

In der neurologischen Physiotherapie werden Menschen nach Schlaganfall, oder Erkrankungen, wie MS, ALS oder beispielsweise Morbus Parkinson behandelt. Nicht selten gehen motorische Einschränkungen bzw. Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit hierbei mit Einschränkungen der Kommunikationsfähigkeit einher. Dies stellt andere Anforderungen an die physiotherapeutische Behandlung, als beispieslsweise bei rein orthopädischen oder chirurgischen Patient:inen.

Es muss allerdings eine klare Abgrenzung zwischen Sprachstörungen und Sprechstörungen geschaffen werden. Während Sprachstörungen neurologische Erkrankungen oder Läsionen des Gehirns vorausgehen, sind Sprechstörungen meist angeborene, selten erworbene Beeinträchtigungen der motorisch- artikulatorischen Bildung von Lauten, Worten und Sätzen.

Eines gilt für Menschen mit Sprechstörungen, wie für Menschen mit Sprachstörungen:

Für Menschen mit Sprech- oder Sprachstörungen ist es wichtig, sich trotz aller Einschränkungen mitzuteilen, vor allem aber mündig zu bleiben. Dies sollte oberste Priorität bei allen Therapeut:innen im Umgang und in der Behandlung dieser Menschen sein!

Abgrenzung Sprachstörung zu Sprechstörung

Eine Sprachstörung ist eine gedankliche Störung bei der Bildung von Worten und Sätzen. Bei Sprachstörungen kann auch das Sprachverständnis beeinträchtigt sein. Ursachen sind Verletzungen oder Erkrankungen im Gehirn und ZNS. Betroffene haben Schwierigkeiten sinnvolle Sätze zu bilden oder andere zu verstehen. Der unten folgende Text geht weiter auf die verschiedenen Arten der Sprachstörungen, der Aphasie ein.

Sprechstörungen können z.B. Lispeln sein oder Redeflussstörungen, wie Stottern oder Poltern. Die gedankliche Bildung von Sprache ist nicht gestört, ebenso wenig wie das Sprachverständnis. Die Erzeugung von Lauten oder der Redefluss ist beeinträchtigt. Grammatik und Wortwahl sind korrekt. Redeflusstörungen äußern sich durch Laut-, Wort- oder Silbenwiederholungen, oder auch Blockaden beim Stottern und durch sehr schnelles unrhythmisches Sprechen, Wortverschmelzungen, „Verschlucken“ von Silben und Lauten beim Poltern. Sprechstörungen sind angeborene, selten erworbene Einschränkungen der Kommunikationsfähigkeit und können in unterschiedlich stark oder weniger stark ausgeprägter Form auftreten.

Apahsie

Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung, die in den meisten Fällen durch einen Schlaganfall entsteht. Bei ungefähr einem Drittel der Patient:innen mit erstem Schlaganfall tritt auch eine Aphasie auf, die sich aber auch nach ungefähr vier Wochen wieder zurückbilden kann. Nach einem halben Jahr sind ca. 44 Prozent dieser Patient:innen frei von Sprachstörungen.

Man unterscheidet vier Apahsie- Syndrome:

Broca Aphasie

Die Broca Aphasie beruht auf einer Läsion des Broca Sprachzentrums der Großhirnrinde. In den meisten Fällen aufgrund eines Infarkts, also einer Minderdurchblutung, in dem Fall der Arteria praerolandica, einem Ast der Arteria cerebri media. Seltener durch Infektionen, Autoimmunerkrankungen oder Metastasen.

Vereinfacht gesagt, ist die Sprachproduktion bei der Broca Aphasie beeinträchtigt, wohingegen das Sprachverständnis intakt ist.

Für Betroffene bedeutet dies, dass es ihnen schwer fällt, Sätze zu formulieren. Die Broca Aphasie äußert sich durch langsame, stockende Sprache mit großen Pausen und angestrengtes Sprechen. In gravierenden Fällen werden Worte ohne Artikel oder Präpositionen aneinandergereiht, um inhaltlich eine Information zu vermitteln.

Menschen mit Broca Aphasie nehmen ihre eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten genau wahr und sind häufig frustriert darüber.

Beispiel: Ähm….morgen….arbeiten….früh…ja….Firma…neun….ja…Uhr….

Wernicke Aphasie

Bei dieser Art der Apahsie beruht die Sprachstörung auf dem fehlenden Sprachverständnis. Während die Sprache zwar flüssig ist, ist sie inhaltsarm oder inhaltsleer und das Verständnis für das Gesagte fehlt. Typischerweise findet man bei Menschen mit Wernicke Aphasie eine inhaltslose Aneinanderreihung von langen, komplexen, Sätzen, oder Satzwiederholungen, zusätzliche Silben, Neologismen, oder auch einen ungehemmten Redefluss. Häufig werden auch Floskeln verwendet

Die Wernicke Aphasie wird meist ausgelöst durch einen Schlaganfall im Gebiet der Arteria cerebri media, welche das Wernicke Sprachzentrum versorgt. Dieses Sprachzentrum ist für das Sprachverständnis zuständig.

Bei diesen Menschen ist die Kommunikation leicht bis mittelschwer gestört.

Beispiel: Ich war im Krankenwagen und dann wissen Sie ja bin ich bewusstlos im Krankenhaus ja und hab ich nix mehr gemerkt, Medimente (Pause) Medikamente bekommen wie Sie sehen und hin und her war dann da ein Schagfall (Pause) Schlaganfall und so weiter und sofort war die linke taube Seite alles weg.

Amnestische Aphasie:

Bei der Amnestischen Aphasie handelt es sich um die leichteste Form der Aphasie. Sie zeichnet sich vor allem durch Wortfindungsstörungen aus. Es ist nicht immer klar erkennbar, in welchem Bereich des Gehirns genau die Verletzung entstanden ist, die diese Form der Aphasie nach sich zieht. Meist sind es kleinere Läsionen im temporoparietalen Bereich. Ursachen hierfür können ein Schlaganfall, ein Schädel Hirn Trauma oder Hirntumor sein.

In der Spontansprache aber auch bei der Benennung von Gegenständen kommen Wortfindungsstörungen vor. Häufig umgehen Betroffene diese Einschränkungen in der Kommunikation mit Umschreibungen der gesuchten Wörter oder benutzen einen Oberbegriff (Tulpen- Blume). Lautstruktur, also Tonhöhe, Tondauer und Betonung, sowie der Satzbau sind selten beeinträchtigt. Allerdings kann es sein, dass Betroffene die Sätze dann auch einfach abbrechen. Die Kommunikation ist leicht bis mittelschwer eingeschränkt.

Beispiel: Ich hab im Garten gearbeitet und dann wollt ich diese, …ähm….wie heißen die nochmal….diese….ähm Blumen (gemeint waren Tulpen) pflanzen und dann hab ich gemerkt, wie mir schwindelig wurde und dann war alles schwarz. Ich kann mich noch erinnern wie diese Ärzte um mein Bett standen. Die haben mir dann gesagt, dass ich viele nicht Spritzen….Spr….nä….Medikamente in Flaschen…..Infusionen bekommen habe.

Globale Aphasie

Die globale Aphasie ist die schwerste Form der Aphasien und betrifft das Sprachverständnis sowie die Sprachbildung. Hier ist ganz wenig bis gar keine verbale Kommunikation möglich. Betroffene reihen häufig Silben hintereinander. Auch das Lesen ist stark beeinträchtigt. Ausgelöst wird die globale Aphasie durch eine schwere zerebrale Schädigung, die das motorische, sowie das sensorische Sprachzentrum betrifft.

Beispiel: Ja dasisdasisdasisdasis….also dadadadadadadad. Egal.

Abgrenzung zu Dysarthrie und Apraxie

Eine Dysarthrie ist eine Störung in der Steuerung und Ausführung von Sprechbewegungen, ausgelöst durch Schädigungen im Zentralen Nervensystem oder von Hirnnerven. Hierbei ist der Sprechapparat (z.B. Zungenmuskulatur) intakt, aber die motorische Innervation gestört. Es fehlt also die Kontrolle über die ausführenden Sprechwerkzeuge (Atmung, Kehlkopf, Zunge, etc.)

Beispielsweise kann eine Dysarthrie bei MS auftreten, durch ein Parkinson Syndrom oder bei ALS.

Sprech- Apraxie zeichnet sich durch eine Störung in der Planung von Sprechbewegungen aus. Kennzeichnend ist auch eine Störung in der Betonung von Lauten, der Sprechmelodie und der Artikulation, zeigt sich aber auch im Sprechverhalten. Hin und wieder kommt es auch zu Lautvertauschungen. Auffällig ist diese Störung meist an Satzanfängen, bei denen Betroffene versuchen, einen Laut mit ihrem Sprechwerkzeug zu bilden. Da das Sprachverständnis nicht eingeschränkt ist, ist die Frustration bei Betroffenen sehr groß. Die Anstrengungen beim Sprechen zeigen sich häufig in angespannter Hals- und Gesichtsmuskulatur. Meist entstehen Apraxien durch eine Schädigung der linken Hirnhälfte in der Nähe des Sprachzentrums. Daher ist es nicht selten, dass Apraxien auch mit einer Aphasie einhergehen können.

Bedeutung von Kommunikationsschwierigkeiten in der physiotherapeutischen Behandlung

In der Behandlung von Menschen mit eingeschränkten kommunikativen Fähigkeiten muss genau unterschieden werden, ob und welche Sprach- oder Sprechstörung vorliegt. Während Beeinträchtigungen, die die Bildung von Sprache, also die rein motorische Komponente betreffen, und das Sprachverständnis nicht beeinflussen, die Kommunikation innerhalb des therapeutischen Kontextes nicht so schwer eingeschränkt ist, stellen mittelschwere bis schwere Aphasieformen in der Behandlung von Patient:innen andere Anforderungen dar.

Physiotherapeutische Behandlungen sind zeitlich durch Vorgaben der gesetzlichen Krankenkassen limitiert. Im Bereich der neurologischen Physiotherapie ist ein Zeitrahmen von 25 bis 30 Minuten (PNF) bzw. 30 bis 45 Minuten (Bobath) gegeben. Ziel sollte es also sein, in diesem Zeitrahmen ein effektives Anamnesegespräch durchzuführen und dann gemeinsam mit den Patient:innen Ziele der Therapie auszuformulieren und zu kommunizieren. Hierfür bedarf es Geduld, Fingerspitzengefühl, Empathie und vor allem die genaue Kenntnis über die vorliegende Kommunikationsstörung.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Physiotherapeuten, Logopäden und Ergotherapeuten spielt in der Behandlung neurologischer Patient:innen u.a. mit Sprachstörungen meines Erachtens eine sehr wichtige Rolle im Sinne der Genesung der Patient:innen, sowie in der Verbesserung der Lebensqualität.

Möglicherweise kann mit den behandelnden Ärtz:innen und den Versicherern auch eine Doppelbehandlungseinheit verhandelt werden. Dies ist aber nicht immer möglich. Daher hat es sich in meiner Praxis bewährt, gezielte Anamnesegespräche zu führen und da, wo es notwendig ist, Angehörige mit zu diesen Gesprächen einzuladen.

Anamnesegespräch

Wie bei allen Therapien ist es wichtig, die zu behandelnde Person mit einem ganzheitlichen, professionellen Blick an erste Stelle zu stellen und zu erarbeiten, was deren Ziele und Wünsche sind. Die Therapeut:innen sollten sich gerade hier und auch generell mit ihren eigenen Ideen und Vorschlägen zurücknehmen. Ebenso sollte man darauf achten, dass man nicht zu der Person wird, die den Patient:innen eine Antwort „in den Mund legt“ oder versucht, voreilig zu erahnen, was der oder diejenige einem mitteilen will. Das kann Frust und Ablehnung bei den Patient:innen nach sich ziehen.

Nonverbale Kommunikation sollte nicht nur, aber gerade in schwerwiegenderen Fällen beachtet werden.

Es gilt herauszufinden, was die Patient:innen als erstes gerne im Sinne der Verbesserung der Lebensqualität erreichen würden. Hierfür wird in meinen Gesprächen bei durch Aphasie stark betroffene Patient:innen der zeitliche Rahmen am größten gesetzt und kann auch gerne eine oder, wenn nötig mehrere komplette Behandlungseinheiten in Anspruch nehmen. Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass weitere Dinge dann auch in den darauffolgenden Behandlungseinheiten, während der physiotherapeutischen Behandlung besprochen und in die laufende Behandlung einbezogen werden können.

In Erfahrung zu bringen, was die Person vor ihrer Erkrankung gerne gemacht hat, kann ein guter Ansatz sein, motorische Defizite physiotherapeutisch zu behandeln. Manchmal ist es aber auch so, dass der Frust darüber, manche Dinge nicht mehr so ausführen zu können wie früher, dem Wunsch sie wieder zu können, überlegen ist. Auch das kann man mit nonverbaler Kommunikation feststellen. Ein „wird schon wieder“ kann genauso frustrierend sein, wie eine Bewegung, die nicht mehr funktioniert.

Als Therapeut:in sollte man hier sehr feinfühlig vorgehen. Der Frust gerade bei den Betroffenen, deren Sprachverständnis intakt ist, kann sehr groß sein. Eine nicht optimale Herangehensweise während des Anamnesegesprächs und den darauffolgenden Behandlungen, kann ein Grund sein, warum kein gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden kann und somit auch der Behandlungserfolg für die Person ausbleibt.

Die Therapie in kleine Teilabschnitte zu untergliedern und weiter fortschreitend aufzubauen, kann die Frustration herabsetzen und die Compliance der Patient:innen erhöhen.

Befundung und Behandlung

In die Befundung fließen diverse klinische Tests ein, die zum Teil aktiv durch die Patient:innen ausgeführt werden müssen. Bei eingeschränktem oder nicht vorhandenem Sprachverständnis, kann es helfen, Testungen“vorzumachen“ und dabei zu erklären, was man verlangt. Ebengleiches gilt für Übungen im Anschluss an die physiotherapeutische Befunderhebung.

Hin und Wieder kommt es auch vor, dass der Fortschritt in der Therapie stagniert. Spätestens dann ist es wichtig, immer wieder zu fragen, ob man gemeinsam mit der/dem Patient:in noch auf dem richtigen Weg ist, ob sich vielleicht etwas an den Ansprüchen an die Therapie oder an den Therapiezielen verändert hat, oder ob man sich missverstanden hat.

Bedenken sollte man auch, dass auch wir als Physiotherapeut:innen mit passiven Maßnahmen die Logopädie unterstützen können, in dem wir zum Beispiel hypertone oder hypotone Muskulatur(zu starke oder zu schwache Spannung) des Sprechapparats mit Techniken aus der Physiotherapie ausgleichen können. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass sich Logopädie und Physiotherapie hier im Austausch gegenseitig befruchten und für die Patient:innen gute Voraussetzungen für den Behandlungserfolg schaffen können.

Es gilt, als professionelle Begleiter für die Patient:innen „mitzudenken“, ihnen zwar keine Worte in den Mund zu legen, aber vorausschauend, empathisch und feinfühlig zu spüren, wann es an der Zeit ist, dass sie oder er eventuell etwas mitteilen möchte und dann das Gespräch mit Ruhe und Geduld zu führen. Die Kenntnis über diverse neurologische Krankheitsbilder, ihre Symptome und Auswirkungen auf Körper und Psyche ist genauso wichtig, wie Kenntnisse über verbale und nonverbale Kommunikation.

Ziel neben den körperlichen Aspekten einer neurologischen Erkrankung sollte sein, physiotherapeutisch auch zur Verbesserung der Aphasie beizutragen, indem die Patient:innen auch innerhalb der Behandlung zur Kommunikation ermuntert werden, sie somit an der sozialen, wie kommunikativen Teilhabe im privaten und beruflichen Kontext zu bestärken und wenn nötig auch die Angehörigen mit in die Therapie einzubeziehen.

Reden und verstehen, ohne zu sprechen, Bewegung in Sprache umzuwandeln und so Kommunikation zu betreiben kann in der Physiotherapie eine Herausforderung, aber zugleich ein Gewinn für Patient:in und Therapeut:in sein. Dazu kann auch auch abschließend folgendes Zitat beitragen:

»Gesten sind ein wunderbares Fenster in die Welt der unausgesprochenen Gedanken«

Susan Goldin-Meadow

Therapie sensomotorischer Störungen nach Schädel Hirn Trauma, Schlaganfall und anderer hirnorganischer Erkankungen

Unter „sensomotorisch“ versteht man die Fähigkeit, Bewegungen zu kontrollieren. Das funktioniert, indem wir einen Reiz mit unseren Sinnesorganen (Augen, Ohren, Nase, Haut) wahrnehmen und die Bewegung darauf anpassen. Unser Gehirn bringt diese Leistung zustande.

Sie möchten etwas trinken. Das Glas mit Wasser steht vor Ihnen. Sie sehen das Glas und Ihr Arm führt eine zielgerichtete Bewegung aus. Hand und Finger greifen nach dem Glas, spüren die Beschaffenheit des Glases (Sie greifen also anders, als würden Sie einen weichen, leichten Gegenstand greifen) und Sie führen das Glas auf direktem Wege zum Mund.

Ihr Gehirn reagiert auch sofort auf die Reize. Wie weit steht das Glas weg, wie fühlt sich der Gegenstand an und welche Bewegung muss ich nun einleiten. Ihr Gehirn hat diese Bewegung abgespeichert, weil wir sie oft genug als Kind geübt haben. Faszinierend, oder?

Unser Gehirn unterliegt einer gewissen „Plastizität“. Das bedeutet, unser Gehirn ist in der Lage, sich an Gegebenheiten anzupassen und wie in diesem Fall, Bewegungsabläufe auch abzuspeichern. Auf diese Art haben Sie krabbeln, laufen und eben auch aus einem Glas zu trinken gelernt. Sie müssen nicht immer wieder neu lernen, wie man ein Glas greift.

Wird das Gehirn nun verletzt wird, so wie es beispielsweise bei einem Schlaganfall oder einem Schädel Hirn Trauma geschieht, dann sind sensomotorische Störungen die häufigste Folge. Sensible und motorische Funktionsstörungen sind die häufigsten neurologischen Ausfälle nach etwa einem Schlaganfall oder einem Schädel Hirn Trauma.

Je nachdem, wie groß die Verletzung ist und in welchem Gehirnbereich die Verletzung stattgefunden hat, zieht dies unterschiedliche Ausprägungen sensomotorischer Störungen nach sich.

Da wir durch Forschungsergebnisse wissen, dass das Gehirn in der Lage ist, sich anzupassen, bedienen wir uns dieser Erkenntnis aus der Wissenschaft in der Physiotherapie. Das Gehirn wird sich also nach einer solchen „Verletzung“ anpassen. Es wird sich aber auch anpassen, wenn wir die/den Patien*in behandeln. Man spricht hier vom läsionsinduzierten Anpassungsvermögen und vom trainingsinduzierten Anpassungsvermögen.

Beide Mechanismen greifen ineinander. Da Versuche an Tieren zeigten, dass das Gehirn bis vier Wochen nach einem Schlaganfall am anpassungsfähigsten war (Zeiler & Krakauer 2013), ist es von größter Wichtigkeit, sofort mit der Therapie zu beginnen!

Jeder von Ihnen hat sicherlich mal einen Menschen mit einer Halbseitenlähmung gesehen. Zum einen kann es diesem Menschen schwerfallen, seinen Arm im Alltag zu nutzen, vielleicht hat er auch Beschwerden beim Gehen. Das schränkt den Alltag und somit auch die Aktivitäten des täglichen Lebens ein.

Wir wissen, dass Hirnareale, die häufig genutzt werden, stärker ausgebildet sind. Umgekehrt verkümmern Gebiete des Gehirns, wenn sie nicht genutzt werden. Salopp ausgedrückt. Aber verschiedene Gehirnareale arbeiten auch zusammen und können sich gegenseitig befeuern . Also Zellen, die sich gegenseitig befeuern, verbinden sich auch miteinander („Cells that fire together, wire together“). Dieses Wissen und das Wissen um neuromotorische Zusammenhänge machen wir uns in der Physiotherapie zu Nutze.

Es ist also möglich, das Gehirn so zu programmieren, dass unser/e Patient*in wieder in der Lage ist, bspw. die Funktionen des Arms, Hand und der Finger, sowie das Gangbild zu verbessern. Das bedeutet für unsere/n Patient*in allerdings auch, dass sie/er mitarbeiten muss.

Aber wie genau gestaltet sich die Therapie?

Stellen Sie sich nun vor, Sie sehen diesen Menschen. Der Mensch sitzt am Tisch neben Ihnen im Restaurant und Sie bemerken, dass es ihm schwer fällt, mit Messer und Gabel zu essen. Was würden Sie verbessern wollen? Genau. Die Funktion der gelähmten Hand. Aber, was, wenn dem Menschen das gar nicht so wichtig ist, dass er wie vorher mit Messer und Gabel umgehen kann? Vielleicht ist es ihm aber viel wichtiger, wieder den ausgedehnten Sonntagsspaziergang mit der Familie zu schaffen.

Genau das gilt es, mit in die Therapie einzubeziehen. Die/der Physiotherapeut*in ist natürlich gewillt, alle Funktionen so gut wie möglich wiederherzustellen.

Natürlich muss man vernünftig gewichten, wenn man einen Therapieplan erstellt. Allerdings richtet sich der Grad der Behinderung eben auch danach, was Patient*innen als einschränkend empfinden und deswegen werden die Wünsche und Ziele der Patient*innen immer mit oberster Priorität in meine Therapieplanung einbezogen.

Therapie

Ich erfasse zunächst nach standardisierten Tests die Folgen und die Symptome der Erkrankung. Wichtig ist auch, dass ich den Verlauf dokumentiere, um so das Erreichen der Therapieziele zu sichern. Ich erstelle also einen Befund.

Patient*innen, die zu mir in die Praxis kommen, werden öfter den Satz hören: „Laufen lernt man beim Laufen“. Früher hat man Bewegungen „angebahnt“. Man legte Patient*innen auf die Behandlungsbank und führte anbahnende Übungen durch. Man nahm an, dass man durch einen gezielt gesetzten Reiz, eine Bewegung hervorrufen kann.

Heute wird die Bewegung selbst immer und immer wieder geübt und das im Hinblick auf Alltagsbewegungen. Unter anderem arbeite ich mit Hilfe von Spiegeln, in denen die Patient*innen die Bewegung beobachten und somit nach mehrmaligem Wiederholen abspeichern können (s.a. Graded motor imagery). Es werden zunächst isolierte Bewegungen, wie zum Beispiel das Greifen geübt. Der reine Bewegungsablauf also. Dann gehen wir zügig steigernd in Bewegungen des täglichen Lebens über (z.B. aus der Kaffeetasse trinken).

Es bringt also nicht viel, dass sie den Daumen zum Zeigefinger, zum Mittelfinger, Ringfinger oder kleinen Finger bewegen können. Wichtig ist, dass Sie wieder die Schuhe zubinden können. Es bringt auch nichts, wenn wir als Therapeut*innen den Patient*innen ständig die Hand führen. Die Patient*innen müssen die Bewegungen so gut wie möglich selbst aktiv durchführen. Nur so kann ein motorischer Lernprozess stattfinden. Also sagen Sie Ihren Therapeut*innen nicht, dass sie Sie gerne quälen 😉 ( Ja, das wird uns hin und wieder nachgesagt).

Die Therapeut*innen verstehen nur, wie das Gehirn funktioniert und möchten Sie dazu bringen, dass Sie bald selbst wieder besser im Alltag klar kommen. Natürlich ist es wichtig, dass Sie als Patient*in Feedback geben und Sie dürfen sicher sein, dass ich Ihnen alle Pausen gönne, um sich zu erholen.

Auf der Basis Ihres individuellen Befundergebnisses behandele ich die eingeschränkten Bewegungsabläufe. Meine Therapie beinhaltet immer die Verbesserung der Aktivität auf der Funktionsebene (also den Bewegungsablauf an sich), aber auch auf der Ebene der sozialen Teilhabe am Leben. Was bringt es Ihnen also, wenn Sie perfekt den rechten Fuß zum Schienbein hochziehen können, wenn Sie aber im Wald über kleine Äste stolpern, oder sich nicht trauen, auf eines Ihrer geliebten Konzerte zu gehen, weil Sie Angst haben, angerempelt zu werden und hinzufallen?

Zum Abschluss ein Patientenbeispiel aus meiner Praxis

Ein Patient mit der Diagnose Multiple Sklerose und Schlaganfall lag wegen Untersuchungen über zwei Wochen stationär im Krankenhaus. Und wenn ich hier schreibe „lag“, dann meinen ich das genau so. Der Patient wurde nicht mobilisiert. Als er nach dem Krankenhausaufenthalt nach Hause kam, konnte er nicht mehr aus dem Rollstuhl aufstehen. Vor dem Krankenhausaufenthalt konnten wir mit der Therapie erreichen, dass er mit dem Rollator eine komplette Runde durch die gesamte Wohnung zurücklegen konnte.

Was war passiert?

Der Patient lag zwei Wochen im Bett und wurde nicht mobilisiert. Sprich: Keiner ist mit ihm aufgestanden, geschweige denn mit ihm gelaufen. Als er dann nach Hause kam, war diese Bewegung nicht mehr in seinem Gehirn präsent.

Was haben wir in der Therapie gemacht?

Wir haben zunächst die Muskulatur, die zum Aufstehen und Gehen notwendig ist wieder aufgebaut. Danach haben wir das Aufstehen „geübt“. Erstmal nur aus dem Rollstuhl aufstehen. Das gestaltete sich als schwierig. Der reine Bewegungsablauf, ohne diesen mit einer alltäglichen Situation zu verbinden, machte also für meinen Patienten nicht viel Sinn. Da der Patient eine ambitionierte Leseratte ist und am liebsten Bücher sortiert, haben wir vor dem großen Regal das Aufstehen geübt. Mit der Aufforderung, doch bitte dieses und jenes Buch aus dem Regal zu holen, fiel es dem Patienten deutlich leichter, die Bewegung abzurufen.

Nach mehrmaligem Üben gelang es dann auch wieder, dass der Patient ohne diesen Vorwand aus dem Rollstuhl aufstehen konnte und heute wieder mit dem Rollator in seiner Wohnung mobil sein kann. Ein sehr gutes Beispiel dafür, wie man Gehirnareale, die zusammen feuern, aktivieren kann, um sich so zu verbinden, dass komplexe Bewegungsabfolgen wie hier das Aufstehen wieder funktionieren.

Text: Christina Sattler