Als Studentin habe ich für meine Bachelorarbeit untersucht, ob es genderspezifische Unterschiede in der physiotherapeutischen Behandlung chronischer Rückenschmerzen gibt.

Warum? Weil ich in der Praxis vor vielen Jahren schon einen Moment hatte, der mich dafür sensibilisiert hatte. So was wie ein Aha-Erlebnis.

Eine Patientin, Anfang 40 kam zu mir. Sie war sportlich und gesundheitsbewusst. Und seit Jahren hatte sie Schmerzen im unteren Rücken.

Sie brachte sämtliche Befunde mit, MRTs, Arztberichte, alles ohne klare Diagnose. Kein Befund also.

Chronische Rückenschmerzen zählen zu den häufigsten Schmerzformen in Deutschland. Zwischen 50–80 % der Erwachsenen haben im Laufe ihres Lebens mindestens einmal Rückenschmerzen.

Nach einer eingehenden Anamnese und physiotherapeutischen Befundung war klar, dass kein rein orthopädisches Problem vorlag. Durch gezielte Fragestellung fanden wir heraus, dass der Rückenschmerz zyklisch verstärkt war.

Das ist gar nicht so selten der Fall. Nach einer langen Odyssee zu verschiedenen Ärzt:innen und Therapeut:innen und einem langen Leidensweg mit Schmerzen hatte meine Patientin allerdings das Gespür für ihren Körper schon verloren.

Auch dieses Phänomen ist typisch bei chronischen Rückenschmerzen.

Das Gehirn bildet eine Art „Körperkarte“ ab. Jede Region des Körpers hat dort ihr eigenes Areal.

Bei chronischen Schmerzen kommt es zu einer sogenannten kortikalen Reorganisation. Das bedeutet:

  • Die betroffenen Körperareale werden überrepräsentiert und Schmerz dominiert
  • Gleichzeitig verliert das Gehirn an Differenzierungsfähigkeit: Berührung, Position und Spannung werden weniger genau wahrgenommen

Folge:

  • Der Schmerz wird übermächtig und das feine Gespür für unseren Körper, für Bewegung, Dehnung oder Haltung geht verloren.

Es findet also bei länger anhaltenden Schmerzen eine Veränderung auf Gehirnebe statt.

Es stellte sich also raus, dass die Schmerzen zyklisch verstärkt waren. Immer kurz vor der Periode.

Das ist nichts, was man im Röntgen sieht. Die Aussage, die meine Patientin also über mehrere Jahre immer wieder hörte: „Da ist nichts.“

Zusätzlich stellten wir eine Schwäche des Beckenbodens fest. Auch das nur durch gezielte Fragestellung.

Was sich also zeigte, was kein „klassischer Rückenschmerz“, sondern ein komplexes Beschwerdebild, mit Veränderungen in der Gewebespannung und auch in der Funktion.

Rückenschmerzen zählen zu den häufigsten Beschwerden in Deutschland. Frauen sind signifikant häufiger betroffen als Männer (12-Monats-Prävalenz: 59 % vs. 52 %).


Sie berichten öfter von intensiveren, länger andauernden Schmerzen, die nicht nur körperlich, sondern auch emotional belastend sind.

Gleichzeitig werden sie häufiger psychologisiert und dadurch nicht immer adäquat behandelt.

Rückblickend stellte meine Patientin dann auch fest, dass ihre Schmerzen bereits nach der Geburt ihres Sohnes vor 9 Jahren und einer anschließenden Versorgung mit der Hormonspirale begonnen hatte.

Ihre Diagnose kam dann, als ich ihr empfohlen hatte, eine Frauenärztin aus meinem Netzwerk aufzusuchen, die auf hormonelles Gleichgewicht bei Frauen spezialisiert ist: Endometriose

Nach Entfernen der Hormonspirale, durch gezielte bioidentische Hormonersaztherapie und einer begleitenden Physiotherapie konnten ihre Rückenschmerzgeschehen innerhalb von 6 Monaten deutlich reduziert werden.

Was blieb, war nicht nur ein schmerzfreierer Rücken. Sondern ein neues Verständnis für ihren Körper und die Sicherheit, ihm wieder vertrauen zu können.

Rückenschmerzen sind keine neutrale Erscheinung.
Frauen erleben sie häufiger, anders und oft in einem hormonellen, sozialen und funktionellen Zusammenhang.


Eine standardisierte Behandlung greift da zu kurz. Es braucht eine geschlechtersensible, ganzheitlich ausgerichtete Physiotherapie.


( aus meiner Bachelorthesis zur genderspezifischen Betrachtung chronischer Rückenschmerzen)