„Medizin ist männlich und 80 kg schwer.“

Prof. Dr. med Vera Regitz- Zagrosek (Internistin und Kardiologin)

Mit dieser provokanten Aussage von Prof. Dr. med Vera Regitz- Zagrosek möchte ich in diesen Blogbeitrag einsteigen. Sie ist Internistin und Kardiologin aber vor allem Pionierin in der Gendermedizin in Deutschland.

Sie wurde belächelt, als sie Kollegen mitteilte, forschen zu wollen im Gebiet der kardiologischen Erkrankungen und der Unterschiede zwischen Männern und Frauen bezüglich Herzerkrankungen.

Heute wissen wir: Es gibt Unterschiede. Nicht nur in der Symptomatik, sondern auch in der Art und Weise, wie Frauen und Männer bestmöglich therapiert werden sollten.

Genderspezifische Unterschiede bei chronischen Rückenschmerzen

Für eine wissenschaftliche Arbeit habe ich Forschungen angestellt im Gebiet der genderspezifischen Unterschiede bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen.

Ziel meiner Forschung war, herauszufinden, welche genderspezifischen Unterschiede es in Bezug auf chronische Rückenschmerzen gibt und ob ein genderspezifischer Therapieansatz maßgeblich zum Therapieerfolg beitragen kann. Es ist belegt, dass chronische Rückenschmerzen sowohl anatomische Veränderungen, als auch Veränderungen des Zentralen Nervensystems verursachen können. Es ist aber auch bestätigt, dass diese Veränderungen durch geeignete Therapieansätze reversibel sind. Daher ist es mir ein Anliegen, anhand meiner Forschungsarbeit einen Beitrag zur Optimierung physiotherapeutischer Behandlungen bei chronischen Rückenschmerzen zu leisten.

Für meine Forschungsarbeit habe ich aktuelle Studien herangezogen, die sich auf die Schlagworte „Gender“, „chronische Rückenschmerzen“ und „Physiotherapie“ beziehen. Ich habe in diese Forschung lediglich Studien einbezogen, in denen die Teilnehmer der Untersuchungsgruppen mindestens 18 Jahre alt waren und entweder männlich oder weiblichen Geschlechts.

Studien an jüngeren Probanden oder Kindern habe ich nicht mit einbezogen, da diese Gruppe einer gesonderten Betrachtungsweise und Therapieansätze bedarf. Ebenso wurden Studien ausgeschlossen, die sich auf die Thematik in Bezug auf Transgender- und Genderdiversityaspekte beziehen, da hier weitere Faktoren und biopsychosoziale Aspekte in einem multidisziplinären Ansatz betrachtet werden müssen. Die Studienlage hierzu ist noch sehr gering und es bedarf weiterer Forschung in diesem Bereich der Schmerzforschung und -therapie (Boerner, Harrison, Battison, Murphy, & Wilson, 2023).

Hohe Prävalenz und gesamtwirtschaftliche Kosten

Chronische Rückenschmerzen betreffen Millionen von Menschen weltweit. Sie beeinflussen das alltägliche Leben und führen zudem mitunter zu hohen gesamtwirtschaftlichen Kosten. Chronische Rückenschmerzen sind immer ein Ergebnis aus verschiedenen biologischen, psychologischen und sozialen Einflussfaktoren, zu denen auch das Geschlecht gehört.

Die Ergebnisse meiner Forschungsarbeit habe ich Ihnen im folgenden Text zusammengefasst.

Frauen leiden häufiger unter chronischen Rückenschmerzen als Männer

Studien zeigen, dass Frauen häufiger an chronischen Rückenschmerzen leiden als Männer. Ein möglicher Grund dafür liegt in den biologischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern. Hormonelle Schwankungen, insbesondere das Hormon Östrogen, beeinflussen die Art und Weise, wie unser Körper auf Schmerzen reagiert. Auch die Muskulatur und Knochendichte von Frauen unterscheidet sich von der der Männer, was die Anfälligkeit für Rückenschmerzen verstärken kann. Gerade der Anstieg von chronischen Rückenschmerzen zwischen dem 3. und 6. Lebensjahrzehnt war auffällig. Auch hier waren Frauen häufiger von chronischen Rückenschmerzen betroffen als Männer. Ebenso konnte festgestellt werden, dass die Art und Weise der Schmerzverarbeitung bei Frauen und Männern unterschiedlich verläuft.

Für Sie als Patienten bedeutet dies, dass es wichtig ist, diese körperlichen Unterschiede bei der Wahl der Therapie zu berücksichtigen. Eine individuell abgestimmte Behandlung kann helfen, den Schmerz besser zu bewältigen.

Frauen geben intensivere Schmerzlevels an

Ein weiteres Ergebnis meiner Forschung ist, dass Frauen Schmerzen intensiver empfinden als Männer. Das bedeutet, dass Schmerzen das Leben von Frauen oft stärker beeinflussen – sowohl körperlich als auch emotional. Es könnte darauf hindeuten, dass Frauen intensivere Behandlungsansätze benötigen, die nicht nur auf den Körper, sondern auch auf das emotionale Wohlbefinden abzielen. Die emotionale Komponente von Schmerzen wird oft unterschätzt, spielt aber eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung von chronischen Schmerzen. Dennoch muss hier festgehalten werden, dass es eben auch sein kann, dass Frauen und Männer hier unterschiedliche Angaben machten. Stichwort: „Sei ein Mann und keine Memme.“

Psychosoziale Aspekte eher bei Frauen deutlich

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Einfluss psychosozialer Faktoren auf die Schmerzwahrnehmung. Stress, Ängste und Depressionen haben bei Frauen laut Studienlage einen größeren Einfluss auf das Schmerzempfinden als bei Männern. Es ist daher wichtig, Strategien zur Stressbewältigung, wie Entspannungstechniken, Achtsamkeit oder psychologische Unterstützung, in den Behandlungsplan zu integrieren. Es konnte gezeigt werden, dass Frauen eher von achtsamkeitsbasierten Anwendungen profitierten als Männer.

Männer hingegen profitierten eher von konventionellen Therapieansätzen oder kognitiver Verhaltenstherapie.

Bedeutung für die Therapie

Was bedeuten diese Erkenntnisse nun für die Behandlung? Meine Forschung hat gezeigt, dass Frauen am besten auf eine ganzheitliche Therapie ansprechen, die sowohl den Körper als auch den Geist behandelt. Eine Kombination aus Physiotherapie, psychologischer Unterstützung und Entspannungstechniken ist oft besonders wirksam, um die Schmerzen zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.

Männer hingegen profitieren häufig mehr von körperlich orientierten Therapieansätzen. Bewegungstherapie, Kräftigungsübungen und Mobilisation sind für sie oft zielführend, um die Schmerzen zu lindern und die Beweglichkeit zu verbessern.

Die wichtigste Erkenntnis meiner Forschung ist, dass Männer und Frauen unterschiedliche Behandlungen benötigen, um chronische Rückenschmerzen effektiv zu bewältigen. Was für den einen funktioniert, muss nicht unbedingt für den anderen hilfreich sein. Daher ist es entscheidend, gemeinsam mit Ihren Therapeuten herauszufinden, welche individuelle Therapie für Sie am besten geeignet ist. Chronische Rückenschmerzen sind eine große Belastung, aber mit der richtigen, auf Ihre Bedürfnisse abgestimmten Behandlung können Sie die Schmerzen in den Griff bekommen. Sprechen Sie mit Ihren Therapeuten darüber, wie genderspezifische Therapieansätze in Ihre Behandlung integriert werden können.

Limitationen meiner Studie

Ein wesentlicher, limitierender Punkt ist, dass die von mir analysierten Studien oft unterschiedliche Methoden und Definitionen verwendet haben, um Schmerzintensität und Therapieerfolge zu messen. Dies erschwert die direkte Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Manche Studien stützten sich auf subjektive Selbstberichte von Patienten, was die Genauigkeit der Schmerzmessungen beeinflussen könnte. Selbstberichte sind zwar wertvoll, können aber durch individuelle Unterschiede in der Wahrnehmung von Schmerzen oder durch soziale und kulturelle Einflüsse verzerrt sein.

Ein weiteres Problem ist, dass einige der Studien mit relativ kleinen Stichproben gearbeitet haben, was die Generalisierbarkeit der Ergebnisse einschränken könnte. Größere Studien mit einer breiteren Population wären notwendig, um die Gültigkeit der Erkenntnisse zu bestätigen. Zudem konzentrieren sich viele Studien auf westliche Länder, sodass die Ergebnisse möglicherweise nicht auf andere Kulturen oder Regionen übertragbar sind.

Schließlich bleibt auch die Frage offen, wie nachhaltig die untersuchten Therapien wirken. In meiner Arbeit wurden vorwiegend kurzfristige Behandlungserfolge untersucht. Langfristige Effekte und die Frage, wie sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Verlauf der Behandlung über Jahre hinweg entwickeln, konnten nicht umfassend berücksichtigt werden.

Trotz dieser Einschränkungen liefern die Ergebnisse meiner Arbeit wertvolle Hinweise darauf, dass geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Behandlung von chronischen Rückenschmerzen eine wichtige Rolle spielen und in der klinischen Praxis stärker berücksichtigt werden sollten.

Auf Wunsch sende ich Ihnen gerne meine Forschungsarbeit als pdf zu.

Christina Sattler